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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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versucht. Dass er mal Mann, mal Frau sein kann. Dass er unsere Seelen will. Aber wer reinen Herzens ist, erkennt ihn und rennt davon. Und ich hab zum Glück sehr schnelle Beine.«
    Er senkte seine Stimme.
    »Vielleicht ist er da draußen. Vor der Türe. Und hört uns zu.«
    »Hier zählt nur das Gebot des Herrn, Anton. Also, was ist nun – wirst du singen?«
    Toni hätte ihm gerne geglaubt, aber er konnte es nicht. Wieso hatte der Teufel ihn hierher gebracht und eigenhändig durch die Türe gestoßen? Außerdem hatte der Bischof freundlich mit ihm gesprochen. Toni blieb Förner die Antwort schuldig. Sein Blick hatte sich plötzlich an dem Plan festgesogen.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Erkennst du es nicht?« Förner war neben ihn getreten. »Das ist ein Plan von Bamberg. Ein Mann namens Zweitler hat ihn gestochen. Das Geschlängelte ist der Fluss mit seinen Brücken. Und dort drüben, das ist der Dom.« Sein Finger klopfte auf die entsprechende Stelle. »Hier – der Kaulberg, wo das Seelhaus steht. Hier sind wir beide, in St. Martin.«
    »Und das Rote? Was bedeutet das?«
    »Das sind Orte, an denen sich Hexen heimlich versammeln«, sagte Förner. »Man nennt sie auch Druten—dieses Wort kennst du bestimmt. Es sind viele, Anton, unendlich viele! Dutzende, Hunderte, vielleicht sogar noch mehr. Eine unselige Saat, die immer weiter aufgeht und furchtbare Früchte trägt. Sie treffen sich zu ihrem Sabbat, dem Hexentanz, huldigen dem Teufel und tun furchtbare Dinge. Sie machen andere krank, verzaubern das Wetter und verhexen Tiere. Und sie...«
    »... schlachten kleine Kinder«, sagte Toni angstvoll. »Sie essen ihr Herz. Anschließend landen sie in der Regnitz.«
    »Woher weißt du das? Wer hat dir das gesagt – rede!«
    »Niemand. Das weiß doch jeder hier.« Toni starrte gebannt auf den Plan. »Und was ist das? Da, wo der größte rote Kringel ist?«
    »Die Lange Gasse. Einer ihrer bevorzugten Tanzplätze. Diese Hexen müssen mir erst noch ins Netz gehen«, sagte Förner düster. »Ich weiß, dass es sie gibt. Aber sie sind sehr schwer zu fangen, ich muss sehr vorsichtig dabei sein, denn die Natternbrut ist ebenso listig wie verderbt. Noch trennt mich ein Meer vom Sieg. Aber ich werde die Fluten teilen, wie Moses einst das Rote Meer teilte. Der Teufel darf nicht siegen. Nicht hier, in Bamberg, unserer heiligen Stadt!«
    Seine brennenden dunklen Augen richteten sich auf Toni.
    »Willst du mir dabei helfen, Anton? Wirst du beim Hochamt in St. Martin singen?«
    Vor lauter Aufregung bekam der Junge Schluckauf.
    Die Lange Gasse – dort wohnte die Taube mit der Tafel! Ob Selina auch etwas mit dem Teufel zu tun hatte? Oder war sie eine der Druten, die sich heimlich zum Tanzen trafen und kleine Kinder aßen?
    All das und noch viel mehr schoss ihm durch den Kopf, wie ein Gewitter aus zuckenden grellen Blitzen. Es dauerte, bis er seine Antwort endlich herausbrachte.
    »Und wenn ich dort singe, bei deinem Hochamt, bekommt der Teufel dann Angst?«
    Friedrich Förner nickte feierlich. Die kleine Lerche war im Netz. Jetzt musste er nur noch überlegen, wie und wo sie ihm von Nutzen sein konnte.
    »Ja, so kann man es sagen, Anton.«
     
    Als Simon sein Pferd durch das Säbener Tor führte, kehrte seine Zuversicht zurück, die auf der langen Reise schon etwas geschwunden war. Endlich hatte er Brixen erreicht, die erste wichtige Station auf seinem Weg nach Süden. Er schien gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein. Zu Füßen des Doms breitete sich ein bunter Wochenmarkt aus. Überall wurden die dunklen Trauben angeboten, wie sie jetzt in den Weinbergen ringsumher gelesen wurden, dazu Birnen und Äpfel, die in den unzähligen Obstgärten der Region süßer und schmackhafter wuchsen als die, die er aus Bamberg kannte. Verschiedenste Laute trafen sein Ohr. Er verstand das meiste, was er hörte. Es war kein Italienisch, wie er es aus seiner Kindheit kannte, sondern ein Dialekt, der härter und deutlich kehliger gesprochen wurde.
    Trotzdem klang es für Simon heimatlich. Und als er an einem Stand mit Wildbret vorüberging, drangen die Gerüche in seine Nase – Gerüche, die er noch aus seiner Kindheit kannte.
    Jähes Heimweh nach Neapel stieg in ihm auf. Alles stand plötzlich wieder vor seinen Augen. Auf einmal fühlte er sich Selina so nah wie schon lange nicht mehr. Wehmütig erinnerte er sich daran, wie knapp sie sich voneinander verabschiedet hatten, jeder offenbar mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Was sie

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