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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Lenz. »Ich sehe dich, auch wenn du mich nicht siehst.«
    Sein Adamsapfel tanzte hin und her, während er sprach. Er war mindestens so aufgeregt wie sie. Ein Gedanke, der sie versöhnlicher stimmte.
    »Und ich sehe dich«, sagte Selina. »Auch wenn du mich nicht siehst.«
    »Dann sehen wir uns eben beide.«
    Sie lächelten verlegen. Keinem fiel etwas Passendes ein. Schließlich entschloss Lenz sich zum Vorstoß.
    »Was machst du eigentlich hier? Ganz allein, mitten auf dem Stephansberg?«
    »Der nonno  ...«
    An seiner Miene erkannte sie, dass er sie nicht verstanden hatte. Sollte sie es aufschreiben? Nein, mit Lenz hatte sie immer reden können!
    »Mein Großvater«, setzte sie noch einmal an und betete innerlich, dass es langsam und deutlich genug war. »Er hat mir hier etwas gezeigt.«
    »Und was war das?«
    Konnte sie ihm trauen? Oder würde er sie wieder verraten?
    »Das ist mein Geheimnis«, sagte sie.
    Lenz nickte, als ob es so ganz in Ordnung wäre. In seinen Augen sah sie goldene Lichter tanzen.
    Plötzlich wusste sie, was sie tun musste. Und worauf es wirklich ankam. Lenz sollte ihr beweisen, dass er zu ihr stand. Vor den anderen. Vor Kuni!
    »Wo finde ich euch?«, sagte sie. »Kann sein, dass ich euch etwas zu sagen habe – irgendwann.«
    »Du weißt, wo.« Seine Arme bewegten sich wie die Flügel einer Mühle, dann sanken sie plötzlich herab. »Tut mir Leid«, sagte er. »Schon wieder! Ich wollte dich nicht daran erinnern. Heute muss ich mich wohl dauernd entschuldigen.«
    »Schon vergessen«, sagte Selina, und es war beinahe wahr. »Wo dann?«
    »Bei Avas Fischstand?«
    Ihr Kopfschütteln war so heftig, dass er erschrak.
    »Am Hafen«, startete Lenz einen dritten Versuch. »Beim Kranen. Da sind wir jetzt oft nachmittags. Wenn die Boote anlegen. Da fällt manchmal etwas für uns ab.«
    Selina schien zu überlegen.
    »Gut«, sagte sie schließlich. »Wir werden sehen.«

    Die innere Flamme wurde schwächer, je öfter er predigte, und das kam beileibe nicht von mangelndem Zuspruch. Inzwischen strömten mehr Menschen zu seinen Gottesdiensten, als St. Martin fassen konnte. An manchen Sonntagen entstand sogar Tumult, weil die Gläubigen sich um die Plätze auf den Kirchenbänken zankten.
    Gabriel Hofmeister hatte schon vorgeschlagen, das Portal während des Hochamtes offen zu lassen, damit auch die zuhören konnten, die draußen bleiben mussten, aber davon wollte der Weihbischof nichts wissen. Er brauchte die Geborgenheit des dreischiffigen Gotteshauses, der heiligen, alten Steine, die ihn schützend umschlossen. Den Blick auf die Jakobsstatue, den ersten Märtyrer, der sein Leben für Christus gegeben hatte. Vor allem aber das reine Licht Gottes, das durch die neuen Glasfenster des Chors strömte.
    Während er sprach, hingen sie an seinen Lippen; ihre Körper bewegten sich im Takt seiner Worte, schneller und schneller, je heftiger er wurde. Hätte er sie aufgefordert, sich in die eigenen Arme zu schneiden, ein Großteil der hier Versammelten wäre seiner Aufforderung gefolgt. Wo aber blieben die zahlreichen Anzeigen, auf die er fest gebaut hatte? Die Besagungen Verdächtiger, Grundlage für die endgültige Vernichtung der gefährlichen Hexensekte?
    Das war der Grund seiner Unzufriedenheit, dieses unerträgliche Warten setzte ihm zu. Die Hexenkommissare hatten ihre Arbeit aufgenommen, durch den Fackellauf zu den schönsten Hoffnungen berechtigt; doch was nützte es, wenn in Zeil die Scheiterhaufen brannten, die Druten in Bamberg aber noch ungestraft ihr Unwesen treiben konnten?
    Die graue Katze sorgte dafür, dass sein Unbehagen von Tag zu Tag wuchs. Inzwischen sah er sie überall. An jeder Ecke, in allen Gassen, sogar bis in seine Träume verfolgte sie ihn, wurde riesengroß, bis sie sich in einen Löwen verwandelte, der sein brandiges Maul aufriss, um ihn zu verschlingen.
    Mittlerweile hielt er regelrecht Ausschau nach ihr. Er hatte Apollonia aufgefordert, täglich ein Schälchen Milch aufzustellen, und sie tat es, unwillig und mürrisch, wie alles, was er ihr anschaffte. Leider erwischte er die Graue niemals beim Trinken. Doch das Schälchen war Morgen für Morgen leer. Dann stellte er sich vor, wie das Biest seine gelben Teufelsaugen auf ihn richtete, als wisse es genau, was ihm blühte.
    Was du noch nicht töten kannst, das musst du umarmen, dachte Förner mit grimmiger Befriedigung. Bis es erstickt. Verbrennt. Und schließlich ausgelöscht sein wird für alle Zeiten.
    Er schwitzte. Der enge neue

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