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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Kragen scheuerte unerträglich. Wo steckte eigentlich sein Sekretär?
    Unwirsch hatte er den Küster hinausgeschickt. Niemand brauchte zu sehen, dass er sein Schmerzensband inzwischen fast täglich anlegte. Die Wunde war so tief geworden, dass sie fast bis auf den Knochen reichte. Jesus hatte gelitten – er litt aus freien Stücken für ihn. Schade nur, dass er sich nun das Messgewand ohne Hilfe abstreifen musste. Beinahe hätte er dabei den Ziersaum des Untergewandes zerrissen.
    Wieso musste er sich überhaupt mit diesem Tand bedecken, um Gottes Wort zu verkünden? Er war ein Büßer, ein Diener des Herrn – nichts anderes wollte er sein.
    Förner wandte sich dem Holzgestell zu, auf dem er seinen Zweitler-Plan aufgeschlagen hatte. Er hatte ihn mit ein paar Eintragungen verändert. Die alten Prozessakten waren die Grundlage dafür gewesen; Gabriel Hofmeister war ihm dabei zur Hand gegangen.
    Zehn große rote Kringel. Es wurden nicht mehr, sooft er auch darauf starrte. Dabei wusste er genau, dass noch Dutzende fehlten, vielleicht sogar Hunderte. Nach manch durchwachter Nacht überkam ihn eine wilde Lust, alles rot zu färben, jede Gasse, jeden Platz, jedes einzelne Haus.
    Halblaute Stimmen vor der Tür rissen ihn aus seinen Grübeleien. Es klopfte, und ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete Hofmeister die Tür.
    »Die kleine Lerche!«, sagte Förner erstaunt. »Endlich.«
    »Ich muss mich für die Verspätung entschuldigen, Monsignore. Es war schon ein hübsches Stück Arbeit, diesen Singvogel einzufangen, aber ihn zu Euch zu bringen war Schwerstarbeit!«
    Der Junge starrte zu Boden. Jetzt, da er vor ihm stand, war Förner überrascht, wie dünn und klein er war.
    »Wie heißt du?«, sagte er. »Und wie alt bist du?«
    Es blieb still.
    »Hast du nicht gehört, was ich dich gefragt habe?«
    »Toni«, sagte der Junge schließlich. »Anton Schuster. Das ist mein Taufname. An Martini werde ich zwölf.«
    Förner hatte ihn für neun gehalten, allerhöchstens. Aber vielleicht war es gar nicht nachteilig für seinen Plan, dass sich im Körper eines jüngeren der Geist eines älteren Kindes verbarg.
    »Du hast vor einiger Zeit in meiner Kirche gesungen, Anton.« Als Antwort erhielt Förner einen wilden Blick, den er sich nicht erklären konnte. »Sehr schön gesungen. Eine Stimme wie deine ist ein kostbares Gottesgeschenk. Deshalb möchte ich mit dir reden.«
    »Nur, wenn der andere rausgeht«, sagte Toni in Richtung Hofmeister. »Sonst sage ich kein Wort.« Er ließ die Tür nicht aus den Augen, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Jeder Muskel in ihm war angespannt. Er musste schleunigst herausbekommen, was der schwarze Prediger mit dem Teufel zu tun hatte.
    »Gabriel, lass uns einen Moment allein!«
    »Ungern, Monsignore! Der kleine Kerl ist ausgesprochen pfiffig – und ungemein schnell.«
    »Wir zwei werden schon zurechtkommen.« Förner wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann nahm er Toni ins Visier. »Nun hast du deinen Willen bekommen, Anton. Ich hoffe, du wirst dich erkenntlich zeigen. Du weißt, wer ich bin?«
    Fragend sahen die Kinderaugen ihn an. Dann schüttelte der Junge den Kopf.
    »Ich bin Bischof Förner, ein Hirte Gottes.« Unwillkürlich glitt seine Hand zum Rosenkranz auf seiner Brust und tastete nach dem tiefer baumelnden Kreuz. Die geschliffenen Bergkristallkugeln ließen das matte Schwarz seiner Soutane durchschimmern. Aber sie konnten es bei weitem nicht mit dem warmen Rot der Korallen aufnehmen, die für ihn die kostbaren Blutstropfen Jesu symbolisiert hatten. »Und ich möchte, dass du in St. Martin singst. Beim Hochamt. Jeden Sonntag. Deine Stimme erhebt die Menschen, Anton. Verstehst du das Wort ›erheben‹?«
    Erneutes Kopfschütteln.
    »Sie tut ihnen gut. Sie bringt sie näher zu Gott. Du betest doch, Anton?«
    »Manchmal«, sagte Toni. »Die Nonnen im Seelhaus haben es mir beigebracht. Und meine arme Mutter. Aber die ist schon lange tot.«
    »Du lebst im hiesigen Seelhaus? Dann hast du also auch keinen Vater mehr?«
    »Früher einmal. Jetzt nicht mehr.«
    »Wo dann? Bei Verwandten?«
    »Mal hier, mal da«, sagte Toni. »Etwas findet sich immer. Mehr darf ich nicht verraten. Sonst ... sonst findet mich noch der Teufel.« Sein Atem ging schneller.
    »Was weißt du vom Teufel, Junge?« Förner klang plötzlich kalt.
    Toni machte eine unbestimmte Geste. In seinem Bauch fing es an zu zittern, aber es gelang ihm, halbwegs ruhig zu antworten.
    »Dass er die Menschen

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