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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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erzählte, hatte er Gelegenheit, den Mann eingehend zu mustern. Er war beinahe so groß wie er, schlank, mit kräftigen Armen. In seinem welligen, dunklen Haar blitzte das erste Silber auf, doch die Haut war bis auf ein paar Lachfältchen glatt. Schmale, energische Lippen. Die Augen hatten die Farbe von hellem Bier.
    »Bamberg, habt Ihr gesagt?«, unterbrach er ihn plötzlich. »Ihr seid tatsächlich aus Bamberg?« Seine Stimme klang, als sei er geübt im Reden.
    »Ja, Bamberg, ist unsere neue Heimat«, sagte Simon. »Nach Jahren in Neapel. Dort hat mein Vater auch zum zweiten Mal geheiratet. Ihr kennt die Stadt?«
    Ein knappes Nicken.
    »Allerdings war ich schon so lange nicht mehr dort, dass ich es beinahe vergessen habe.«
    »Jetzt lebt Ihr hier?«
    »So würde ich es nicht nennen. Brixen ist eher eine Zwischenstation. Eine Art Besinnungspause, wenn Ihr so wollt.«
    Der Mann räusperte sich, während seine Augen freundlich auf Simon gerichtet waren.
    »Vielleicht kann ich Euch in der Zwischenzeit ein wenig unterstützen. Wenn die Menschen hier erst einmal ihr Misstrauen verloren haben, sind sie in der Regel offen und sehr hilfsbereit. Ich bin Priester und kenne einige in der Stadt, die Euch nützlich sein könnten. Wollen wir gemeinsam unser Glück versuchen?«
    »Das würdet Ihr tun?« Eine Woge von Sympathie stieg in Simon auf. »Aber Ihr kennt mich doch kaum!«
    »Ich kann gut zuhören. Und was ich soeben von Euch erfahren habe, gefällt mir.« Er bewegte seine Hände, wenn er redete. Simon fiel der schmale silberne Ring auf, den er an der Linken trug.
    Seite an Seite gingen sie zurück. Der Mann hieß Simon an einem kleinen Platz warten. Es dauerte, bis er wiederkehrte.
    »Mein Plan scheint aufzugehen«, sagte er lächelnd. »Hinein lässt man uns jedenfalls schon einmal.«
    Er ging so schnell voraus, dass Simon sich anstrengen musste, um mitzuhalten. Vor einem Haus mit wildem Wein, herbstlich bunt gefärbt, blieb er stehen.
    »Die Brüder Rienzo erwarten uns. Jetzt möchte ich nur noch erfahren, wen ich als Gast mitbringen darf.«
    »Natürlich! Wie konnte ich nur so ungehobelt sein? Ihr wisst ja noch nicht einmal meinen Namen. Ich heiße Simon. Simon Sternen. Und wer seid Ihr?«
    « Adam Thies. Sag einfach Adam zu mir.«
    Die Werkstatt war niedrig. Sowohl Simon als auch sein Begleiter mussten den Kopf einziehen, um nicht an den Deckenbalken anzustoßen. Die beiden Männer, die an einem Tisch geschnitzt hatten, erhoben sich eifrig. Überall standen und lagen Krippenfiguren in den verschiedensten Fertigungsstadien. Sie arbeiteten anders hier, das sah Simon auf den ersten Blick, mit einfachen, gröberen Schnitten, die ihm in ihrer kraftvollen Ursprünglichkeit gefielen.
    »Seid gegrüßt, Pater Thies«, sagte der Jüngere und verneigte sich.
    »Immer wieder eine Freude, Pater Thies, Euch bei uns zu sehen«, ergänzte der andere, offensichtlich sein älterer Bruder, so ähnlich waren sich ihre spitzen Nasen mit den langen Flügeln. »Eure Predigt war wunderbar. Aber deshalb seid Ihr nicht hier. Ihr habt uns heute Besuch aus der Fremde mitgebracht?«
    »Simon Sternen stammt aus Bamberg und hat den gleichen Beruf wie ihr. Er ist auf der Durchreise nach Verona, um Stoffe zu kaufen, und dankbar für jeden guten Rat.«
     
    Plötzlich bekam die Maria ihr Gesicht. Es war sein vierter Versuch, mindestens, denn er hatte aufgehört mitzuzählen. Jedes Mal hatte er mittendrin aufgehört, weil seine Hände dem Holz nicht abzuringen vermochten, was er sich vorgestellt hatte. Wie ein Anfänger hatte er sich gefühlt, jemand, der es trotz aller Anstrengung nicht fertig brachte, dem Material Leben einzuhauchen. Alles schien gegen ihn verschworen. Sogar die neue Türe schien ihn feindselig anzustarren. Inzwischen kostete es Veit regelrecht Überwindung, auch nur einen Fuß in das teuer angemietete Nebenhaus zu setzen.
    Doch auf einmal nahm die Figur Gestalt an.
    Er brauchte keinen Zirkel mehr, konnte die Reißwerkzeuge an der Wand lassen. Er wollte Fertiges in der Hand halten, Ergebnisse sehen. Wo war der Klöppel aus Buchenholz abgeblieben, den er in letzter Zeit vorzugsweise benutzt hatte? Er hatte ihn sogar mit seinen Initialen gekerbt, so lieb war er ihm geworden, aber heute war er unauffindbar.
    Er gab die Suche auf und nahm stattdessen einen Ersatz zur Hand, mit dem sich auch gut arbeiten ließ. Geradezu zu fliegen schien der Klöppel, und die Schnitzeisen fanden wie von selber den Weg in das Holz. Das Lindenstück

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