Die Hüterin der Wölfe (Die Steinzeit-Trilogie) (German Edition)
Vogel zu besänftigen? Nein. Nein, sie würde darauf vertrauen, dass die Wölfin kommen würde. Dass sie bald kommen würde.
Die Wölfin lauerte zusammen mit ihren Brüdern im Unterholz. Sie pressten sich angespannt auf den Boden, bereit dem Wild, dessen Witterung sie noch in der Nase hatten und das ihre Eltern bald in ihre Richtung hetzen würden, den Weg abzuschneiden.
Sie lauschte angestrengt, hörte aber nur die üblichen Geräusche des Waldes. Dann rührte sich ein Bruder neben ihr. Er richtete Ohren und Schnauze auf zum Zeichen, dass er etwas gewittert hatte. Etwas anderes als das Wild, das sie zur Strecke bringen wollten.
Die Wölfin suchte die neue Witterung und richtete sich ebenfalls auf, als sie sie aufgenommen hatte. Das Menschenrudel! Es war in der Nähe. Vielleicht machte es sogar Jagd auf dieselbe Beute.
Das Menschenrudel lebte im Tal und kam oft in den Wald, auch um zu jagen.
Die Wölfin beobachtete die Menschen manchmal vom Wald aus. Sie war neugierig und wollte wissen, wie dieses andere Rudel lebte. Sie war zusammen mit ihrer Schwester auch schon öfter in der Nähe des Menschenlagers gewesen, einmal sogar in ihrem Lager, um sich Teile ihrer Beute zu holen. Es hatte nie eine Konfrontation gegeben.
Die Jagdmethoden des Menschenrudels waren ähnlich der ihres Rudels. Sie schlichen sich möglichst nah an das Wild heran, möglichst gegen den Wind, damit die Beute ihren Geruch nicht aufnehmen konnte. Dann schlugen sie schnell und konzentriert auf ein Tier zu.
Die Wölfin war von den Menschen fasziniert. Aber sie wollte keinen Kampf mit ihnen. Die Brüder wurden unruhig und einer informierte durch einen langgezogenen heulenden Laut ihre Eltern über die Anwesenheit der Menschen, vermutlich damit aber auch die Menschen über ihre Anwesenheit.
Die Antwort der Mutter ließ nicht lange auf sich warten und forderte sie zum Rückzug auf.
Minoo stand hinter Pinaa und führte ihre Hand. „So musst du den Bogen halten. Nein. Warte. Die Hand höher. Und den Arm … Nein.“ Er seufzte. „Noch etwas höher. Jetzt spann ihn mal.“ Pinaa zog an der Sehne, aber sie bewegte sich kaum. „Das sieht nicht gut aus.“ kommentierte Minoo. Sie sah ihn schuldbewusst und leicht schmollend an. Er hatte ihr für den Wettstreit einen Bogen mit den passenden Pfeilen angefertigt, der kleiner als die üblichen Bögen der Jäger waren. Er war gut gespannt, so dass man nicht so viel Kraft aufwenden musste, um einen Pfeil abzuschießen. Aber etwas Kraft brauchte man schon. Eine gute Konzentration. Und eine ruhige Hand. „Es wäre schon gut, wenn du den Pfeil wenigstens abschießen könntest.“ sagte Minoo „Auch wenn du vielleicht Anatoo triffst.“
Sie lächelte wieder und versuchte es nochmal. Sie übten weiter bis Pinaa einen Pfeil in eine bestimmte Richtung abschießen konnte. Dann riet Minoo dazu, das Lauftraining durch den Wald aufzunehmen. Er glaubte nicht, dass Pinaa das Bogenschießen in der kurzen Zeit so erlernen konnte, dass sie auch nur annähernd ein vorgegebenes Ziel treffen konnte, selbst wenn es nur einige Meter entfernt war. Zudem würden diese Übungen schließlich zu Fragen der Eltern führen und diese sollten nicht von dem Wettstreit erfahren. Pinaa stimmte ihm zu.
Beim nächsten Sonnenanstieg ging Pinaa zusammen mit Minoos Schwester Linaa Nüsse im vorderen, vom Lager sichtbaren Teil des Waldes sammeln und Minoo gab vor, Brennholz zu holen. Dabei begannen sie, den günstigsten und schnellsten Weg durch den Wald zu suchen – wie vereinbart von ihrem Lager aus bis zu einer kleinen Lichtung, auf der manchmal Rehe ästen.
Die Strecke, die sie ausmachten, betrug etwa 800 Schritte. Pinaa hatte eine gute Orientierung und lief den Weg gleich beim ersten Mal richtig, allerdings nicht sehr schnell. Minoo, der einen anderen, längeren Weg genommen hatte, war lange vor ihr da.
Grinsend saß er in der Mitte der Lichtung. „Warum hast du das eigentlich gemacht?“ fragte er. „Warum hast du Anatoo provoziert und herausgefordert?“ Sie ließ sich neben ihn fallen und schnappte nach Luft. „Hast du dabei überhaupt nachgedacht? Oder warst du nur wütend?“ bohrte er weiter, während sie noch nach Worten suchte.
„Ich … ich weiß nicht genau.“ keuchte sie. Er legte den Arm um sie und drückte sie an sich. Er wollte ihr nicht weh tun, das wusste sie. Aber er hatte ein Recht auf Antworten. Bisher hatte er sich zurückgehalten, hatte ihr weder Fragen gestellt, noch Vorwürfe gemacht. Er hatte ihr
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