Die Hüterin der Wölfe (Die Steinzeit-Trilogie) (German Edition)
sein Vater ihm einen tadelnden Blick zuwarf. Kittoo lächelte. „Wir werden gemeinsam dafür sorgen, dass sie sich wohlfühlt. Die Zeit wird zeigen, ob sie ein Begleiter für uns sein kann.“
Pinaa war so überwältigt von der ganzen Situation, dass ihr gar nicht auffiel, dass er die Wölfin nicht als ihre Begleiterin bezeichnete. Sie hatte ihm erzählt, dass sie eine Geistreise gemacht und sich einen Begleiter gewünscht hatte und war schon überrascht, dass er deswegen nicht wütend wurde. Er schien ihr zu glauben. Trotzdem hatte sie nie damit gerechnet, dass der Beschwörer die Wölfin akzeptieren würde. Es ging auf einmal alles so schnell. Sie war nicht mal sicher, ob die Wölfin wirklich zu ihr in das Lager und so dicht bei der Sippe sein wollte, aber sie hoffte es. Und nun wollten sie mit ihr schon über die Regeln sprechen. Das war alles ziemlich aufregend. Sie sah schon Kittoo ihren Vater fragen, ob dieser nicht Anatoo als Sohn annehmen würde, wenn er stattdessen Pinaa zu seiner Nachfolgerin ausbilden würde. Ihr Vater. Sie holte sich aus den Träumen zurück und sah ihn an. Wirklich glücklich sah er nicht aus. Er hatte nichts gegen Kittoo oder Anatoo, aber so enge Beziehungen hatte er sich zu ihnen sicher auch nicht gewünscht. Sie hoffte, dass er ein bisschen stolz auf sie war. Und dass er jetzt vielleicht auch an ihre Berufung glaubte.
„Wir müssen die Wölfin am Anfang irgendwie festbinden.“ sagte Kittoo gerade. „Zumindest nachts.“ „Wieso?“ fragte Pinaa ein bisschen entsetzt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass einem freien Tier so etwas gefallen würde. „Die Sippe muss ihr erst vertrauen.“ antwortete Kittoo ruhig. „Sie haben Angst um ihre Kinder, wenn ein Wolf hier nachts frei im Lager herumläuft. Tagsüber kann sie bei uns sein, bei mir, bei Anatoo oder bei dir. Aber nachts brauchen wir eine Lösung.“ Pinaa nickte.
Die Wölfin hatte sich in einem Gebüsch in der Nähe eingerollt und beobachtete das Menschenlager. Das Menschenweibchen hatte ihr ein paar feine Fleischstücke gebracht und versucht, sie in das Lager mitzunehmen. Die Wölfin hatte blockiert und vermittelt, dass sie zuerst noch im Wald, aber in der Nähe bleiben würde. Der Mensch hatte sie nicht gedrängt, sie hatte sie zum Abschied umarmt und gestreichelt.
Die Wölfin war mit der Entwicklung zufrieden. Wenn schon kein männlicher Wolf sie erwählen und ein Rudel mit ihr gründen würde, dann konnte sie hier Zuneigung und Anerkennung finden. Sie konnte mit den Menschen jagen, zusammen hätten sie noch größere Aussichten auf Erfolg. Die Mahlzeiten waren gesichert, ein warmer Schlafplatz. Das Menschenweibchen empfand ihr gegenüber großen Respekt und viel Zuneigung. Sie spürte, dass sie sie brauchte. Und sie wollte sie beschützen. Von den anderen Menschen empfing sie gemischte Gefühle. Angst, Misstrauen, aber auch Neugier, Stolz und Freude.
Ihr neues Rudel. Tat sie das richtige? Was würde ihre Familie sagen, wenn sie davon erfuhr? Sie gingen davon aus, dass sie auf Partnersuche war, witterten sie aber sicher noch in ihrer Nähe. Vermutlich erwarteten sie eigentlich, dass die Wölfin zurück kehren und als helfende Aufsicht und zweite hinter dem führenden Elternpaar bei ihrem Rudel bleiben würde. Aber das wollte sie nicht. Im Moment war das Menschenrudel deutlich interessanter als diese undankbare Aufgabe.
Ein Wolf bei den Menschen. War das überhaupt möglich? Und was würde passieren, wenn sich das Menschenrudel wegen ihr entzweite? Das wäre nicht gut. Die Menschen brauchten einander. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Rudel auf einen Menschen in ihrer Mitte reagieren würde. Der Mensch würde wohl eher als Ballast angesehen werden. Er war nicht so robust und schnell wie ein Wolf, musste mehr essen und mehr ruhen. Er hatte keine gute Nase, nicht so gute Ohren wie ein Wolf und konnte kaum im Dunkeln sehen. Seine Welpen brauchten lange, um mit auf die Jagd zu gehen oder sich einem anderen Rudel anzuschließen. Er benötigte viele Laute, um sich zu verständigen. Er hatte gute Waffen, aber diese musste er erst herstellen und sie hielten oft nicht lange.
Und obwohl sie diese Überlegungen zu dem Schluss führten, dass der Wolf dem Menschen haushoch überlegen war, ein Wolf für ein Menschenrudel also eher ein Gewinn war, während ein Mensch ein Wolfsrudel schwächen würde, wusste sie doch, dass die Menschen gar nicht so schwach waren.
Mit diesen Gedanken schlummerte sie ein bisschen und behielt
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