Die Hüterin des Evangeliums
»Vielleicht gibt es ja eine Geldquelle, die Sebastian bislang verborgen blieb. Das wäre doch möglich, oder? Willst du mir helfen herauszufinden, worum es sich dabei handelt?«
Das wollte sie ganz gewiss nicht, denn sie würde nicht in Georg Imhoffs Angelegenheit schnüffeln. Christiane wich Marthas Blick aus. »Meitinger spricht mit mir nicht über seine Geschäfte ...«, hob sie an.
Außerdem konnte sie sich kaum vorstellen, dass ihre Nachforschungen von Nutzen für die Familie Rehm sein könnten. Es gab feste Regeln im Druckergewerbe, nach geheimen Finanzierungen zu fahnden, erschien Christiane deshalb vollkommen sinnlos. Wenn sich Martha an Hirngespinste klammerte, stand es noch schlechter um sie und Sebastian, als Christiane befürchtet hatte. Die Geschichte mit der Teufelserscheinung verdrängte sie rasch wieder. Das wollte und konnte sie sich nicht vorstellen. Nicht nach dem erlebten Exorzismus an dem Freudenmädchen.
»Ach, dann frage ich Georg Imhoff eben selbst«, unterbrach Martha ihre Gedanken. »Er kommt in letzter Zeit öfter vorbei. Neulich brachte er mir Schneeglöckchen mit. Sieh nur, wie hübsch die Blumen sind.«
Christiane spürte zu ihrem Entsetzen, wie sich die Eifersucht in ihrem Körper ausbreitete wie ein Flächenbrand unter Holzbuden. Ihr wurde heiß, und sie hätte gern darauf verzichtet, die zarten weißen Blütenkelche anzuschauen, dieMartha hübsch auf dem Tisch unter dem Fenster dekoriert hatte. Dennoch tat sie ihrer Freundin den Gefallen und bewunderte Georg Imhoffs Geschenk. Als sie die Stube betreten hatte, war es ihr seltsamerweise nicht aufgefallen.
Die Schneeglöckchen standen auf Sebastians Arbeitsplatz, den Christiane selten mehr als eines flüchtigen Blickes würdigte. Jetzt aber nahm sie das Arrangement wahr, als würde sie es durch das Glas eines Lesesteins betrachten: die kleine Tonvase neben dem Tintenfass aus Metall, mehrere Schreibfedern in einer zerbeulten Zinnschale, zwei Papierstapel, der höhere davon aus billigem Hadern, der niedrige war als feineres Bütten erkennbar.
Die Blumen ließen das Arrangement freundlich und einladend erscheinen. »Ja«, bestätigte sie leise, »sehr hübsch.«
Der Zauber, der ihr eigenes Sträußchen umgeben hatte, war zerbrochen.
Frankfurt am Main,
zur selben Zeit
4
» Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten Mächten, denn es ist keine Macht außer von Gott und die bestehenden sind von Gott verordnet ... «
Wolfgang Delius blickte von dem Buch auf, aus dem er gerade gelesen hatte, und in die Runde seiner aufmerksamen Zuhörer. Etwa zwei Dutzend Herren hatten sich in seinem Offizin im Schatten der Leonhardskirche versammelt, Männer in den Talaren der Gelehrten, Buchführer und Bibliothekare. Verglichen mit den Tausenden von Verlegern, Druckern, Händlern und Kunden, die sich zur Fastenmesse in der Buchgasse aufhielten, eine verschwindend geringe Zahl. Für ihn persönlich jedoch ein Erfolg, denn dies war seine erste Veranstaltung als Verleger.
Er hoffte inständig, sich als Erbe seines berühmten Vaters würdig zu erweisen. Dabei war für ihn eigentlich ein anderer Weg vorgesehen gewesen: Er hatte in Marburg Jurisprudenz studiert und beabsichtigt, als Fürsprecher zu arbeiten, doch im Januar waren sein Vater und sein älterer Bruder bei einem Schiffsunglück auf dem Main ums Leben gekommen – und plötzlich hatte er die Privilegien des alten Delius erhalten. Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als mangels eigener Kenntnisse und Zunftmitgliedschaft einen Druckermeister einzustellen und die verlegerische Seite des Geschäfts zu übernehmen. Die Tatsache, dass sein Vater vor allem religiöse Bücher oder antike Schriften im Nachdruck veröffentlicht hatte, kam seinem eigenen literarischen Geschmack entgegen.
Umso wertvoller war seine langjährige freundschaftlicheVerbindung zu einem Rechtsgelehrten wie Bernhard Ditmold, der als Rat am Reichskammergericht zu Speyer tätig war. Dessen neuestes Buch wurde heute in Delius’ Gewölbe vorgestellt.
»Der eben zitierte Gedanke des Paulus von Tarsus«, fuhr Wolfgang mit seiner tiefen, melodischen Stimme fort, »wurde von Martin Luther aufgegriffen und findet Widerhall in der Peinlichen Gerichtsordnung des Kaisers. Von dieser Verbindung handelt das Werk von Bernhard Ditmold.«
Er verneigte sich und trat vom Pult fort, um Platz für den nächsten Redner zu machen. Höflicher Beifall verabschiedete ihn und begrüßte den Autor, der mit einem Nicken vortrat. Bernhard
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