Die Hüterin des Evangeliums
einer winzigen Pause keck hinzu: »Ich hoffe, du kannst derweil das Registerbuch mit den Verkäufen von Herrn Ditmolds Buch füllen, so dass sich dein Fernbleiben von der Werkstatt lohnt.«
Sein Schmunzeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Davon wäre ich überzeugt, wenn du unsere Gäste nicht weiter mit deinem Gemurmel stören würdest.«
Darauf zwinkerte ihm Amalie fröhlich zu, raffte den Rock ihres Trauerkleides und rauschte beschwingt hinaus – ganz so, als sei sie nur gekommen, um sich ein Lob von ihm abzuholen.
Wolfgang sah ihr nach, und die Vermutung ging ihm durch den Kopf, dass sie wahrscheinlich bereits alle Probleme mit dem Buchmaler gelöst hatte und nur eine Art Absolution für ihr Handeln von ihm erwartete. Schließlich musste sie bei ihrem Erscheinen damit gerechnet haben, dass er unabkömmlich war. Eine tatkräftige Frau also, die trotzdem auf die Form achtete. Sie war fraglos die Richtige, die Druckerei wenigstens in seiner Abwesenheit selbständig zu leiten. Dass er wie diemeisten anderen Verleger und Buchführer zwischen den Verkaufsmessen auf Reisen gehen würde, stand außer Frage. Das gehörte zu seinem neuen Beruf.
Ich werde sie heiraten, beschloss er.
Schade, dass er die Trauerzeit abwarten musste. Diese dauerte länger als die Fastenmesse, so dass er seine für den Mai geplante erste geschäftliche Fahrt nach Venedig noch als Junggeselle antreten würde. Aber zur Herbstmesse könnte er mit Amalie verlobt sein ...
Plötzlich fiel ihm ein, dass ihn seine Reise in den Süden über Augsburg führen würde. Ein seltsames Zusammentreffen mit dem Schreiben des unbekannten Verrückten? Wohl eher nicht, sagte ihm die Vernunft. Denn die Reichsstadt am Lech war eine Drehscheibe des Buchhandels mit Süddeutschland, Tirol und Italien. Trotzdem wurde Wolfgang Delius das Gefühl nicht los, durch Sebastian Rehm in einem seltsamen, unsichtbaren Spinnennetz gefangen zu sein.
Augsburg,
Anfang April 1555
5
Das Haus in der Katharinengasse, in dem Christiane seit ihrer Hochzeit lebte, unterschied sich von dem der Rehms ebenso deutlich wie der Habitus der beiden Cousinen. Es befand sich seit langem im Familienbesitz, und Severin Meitinger hatte es samt Werkstatt von seinem Vater übernommen. Der greise Titus Meitinger wohnte inzwischen zurückgezogen in einem Raum unter dem Dach, beherrschte aber oftmals allein durch seine stille Anwesenheit den Alltag in dem ansehnlichen, zweistöckigen Gebäude in bester Gegend der Oberstadt. Und wenn er nicht durch Gesten und vieldeutige Augenaufschläge seine Meinung zum Besten gab, dann mittels lautstarker Vorwürfe.
Diese richteten sich meist gegen seine neue Schwiegertochter. Sie sei zu jung, zu lebendig, zu wissbegierig. Mit dieser Beschreibung unterschied er sich kaum von der ihres Vaters, der eine gewisse Verehrung durch den alten Druckerverleger erfuhr, weil der Stadtbrunnenmeister Walser ein hoch angesehener Bürger und seine Tochter daher eine gute Partie war.
Christiane wusste wenig über ihre Vorgängerin, aber sie mutmaßte, dass Severins erste Frau still, unterwürfig und ohne ein Interesse an der eigenen Person gewesen war. Vielleicht war sie ja grundsätzlich von nichts und niemandem sonderlich gefesselt gewesen, ignorante Weibsbilder gab es nun mal. Jedenfalls war sie vor Jahren einer Pestepidemie zum Opfer gefallen, und Christiane dankte Gott für das Verbot, Kleidung, Wäsche und Betten von Erkrankten zu verkaufen oder in öffentlichen Brunnen zu waschen und aufzubewahren. Da derRat sehr auf die Einhaltung dieses Gesetzes achtete, hatte Severin Meitinger die Habseligkeiten seiner Familie und viele Möbel verbrennen lassen. Christiane sah dies als Vorteil, denn so erinnerte in ihrem neuen Heim nichts an die Vergangenheit. Umso besser, dass ihre Mitgift auch aus einer Menge Leinenzeug und anderen Haushaltswaren bestanden hatte.
Dennoch wünschte sie, dass manches so geblieben wäre, wie sie es bei ihrem ersten Besuch vorgefunden hatte. Das Schlafzimmer sah mit dem neuen Bett, das Severin für seine Braut gekauft hatte, und ihrer eigenhändig bestickten Spitzenwäsche deutlich ansprechender aus als der unordentliche, vernachlässigte Raum, der er in ihrer Hochzeitsnacht gewesen war. Aber es war bedauerlich, dass Meitinger am nächsten Morgen die Bücherstapel entfernt hatte, die zuvor überall auf dem Fußboden verstreut gewesen waren; seine Literatur bewahrte er nun ausschließlich in seiner Schreibstube auf, einem Raum, den Christiane ohne sein
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