Die Hure Und Der Moench
Später war noch ein zweiter Mann in dem Keller gewesen. Es war irgendeine schwere Sünde geschehen, dessen war sich Angelina bewusst, aber die schwerste Sünde hatte sie selbst begangen: Sie hatte diesen Mann, der sie dorthin gebracht hatte, verführt! Sie schlug die Hände vors Gesicht. Also war sie schuld an dem Furchtbaren gewesen, das danach geschah!
Mitten in all dem Schrecken fiel ihr Francesco ein, seine zarten, dann immer fordernderen Küsse, seine warmen Hände auf ihrem Leib, sein Geruch nach Tempera und Terpentin. Es gab einen entscheidenden Unterschied. Francesco hatte sie gemalt, ein wenig freizügig zwar, aber so, wie Gott sie nun einmal geschaffen hatte. Und waren die Frauen nicht dazu geschaffen, Männern und sich selbst Vergnügen zu bereiten? Du musst dich entscheiden, hatte Mutter Elisa gesagt.
Wollte sie ewig dem Bild des Kellers verhaftet bleiben? Oder sich darüber hinauswagen? Das Bild war der Schlüssel, jetzt wusste sie es!
Die Sonne war allmählich tiefer gesunken, tauchte Weinberge, Wälder und Höfe in ein diffuses Licht. Angelina drehte sich um und lief denselben Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr war ein wenig übel, und wirre Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sollte sie bleiben oder gehen? War es richtig, sich vor der Welt zu verstecken, das Leben an sich vorbeiziehen zu lasen? Einige kleine Stücke fehlten noch an dem Rätsel, das zu lösen sie sich vorgenommen hatte. Atemlos kam sie im Kloster an. Mutter Elisa erwartete sie offensichtlich schon. Sie gab ihr einen Brief, der am Nachmittag gekommen war, wie sie sagte.
»Hoffentlich keine schlechten Nachrichten«, meinte sie. Angelina öffnete das Schreiben mit zitternden Fingern. Es trug keinen Absender; ihre Adresse war in einer fremden, etwas krakeligen Schrift geschrieben.
|294| »Werte Signorina Angelina«, las sie. »Ich erlaube mir, Euch heute zu schreiben, weil ich glaube, dass Ihr betrogen werdet. Ihr habt gewisse Verbindungen mit einem Maler namens Francesco Rosso, der ein Porträt von Euch gemalt hat. Mir ist nun zu Ohren gekommen, dass er das Bild, statt es Euren Eltern oder Euch auszuhändigen, an einen reichen Florentiner Wollhändler verkauft hat. Der Arme! Er hat sich nämlich von seinem Meister, Botticelli, auf immer getrennt und muss nun sehen, wie er durchkommt. Dieser Brief ist von jemandem geschrieben, der es gut mit Euch meint.«
Eine Unterschrift fehlte. Angelina schwankte und musste sich einen Augenblick lang an Mutter Elisas Arm festhalten.
»Wer hat diesen Brief gebracht?«, wollte sie wissen.
»Am Nachmittag kam ein Bote und gab mir den Brief mit der Bitte um persönliche Aushändigung an dich. Ich habe mir schon gedacht, dass er keine guten Nachrichten enthält. Was steht darin, wenn ich fragen darf?«
»Francesco hat sich von Botticelli getrennt. Jetzt ist er mittellos! Er soll mein Bild an einen Wollhändler verkauft haben.«
»Davon geht doch die Welt nicht unter! Schreibe ihm, dass er es zurückkaufen soll. Schick ihm von deinem Geld, es ist in unserer Effektenkammer verwahrt. Wenn er wirklich in Not geraten ist, kannst du ihm das doch verzeihen.«
Nein, es war anders, doch das wollte sie Mutter Elisa nicht auf die Nase binden. Das Bild war für Angelina zwar ein Inbegriff des Sündigen, aber mehr in dem Sinne, wie Savonarola es predigte. Sie wollte auf keinen Fall, dass es in der Florentiner Gesellschaft auftauchte oder dass die Reichen von Florenz sich über sie lustig machten, das Bild gar mit lüsternen Blicken betrachteten. Angelina erinnerte sich sehr genau an die Gefühle, die sie selber während der Entstehung des Bildes gehabt hatte. Nie würde sie den Ausdruck von Francescos Augen vergessen, die in die ihren versunken waren, wenn er eine kurze Pause machte.
»Ich muss sofort nach Florenz, Mutter Elisa! Das Bild gehört meinen Eltern. Er hätte es nicht weiterverkaufen dürfen!«
|295| »Warum nimmst du das so wichtig, Angelina? Der Schreiber dieses Briefes hat seinen Namen nicht preisgegeben. Und wenn das eine Lüge ist?«
»Es muss einen Grund geben, dass ein Unbekannter mir so etwas schreibt. Francesco hat sich nicht nur einmal widersprüchlich verhalten! Ich traue ihm das durchaus zu.«
»Weißt du auch, was du tust? Hast du nicht gesagt, du bringst jeden in Lebensgefahr, wenn du in seiner Nähe bist?«
»Ich werde in niemandes Nähe sein, ich werde die Adresse dieses Wollhändlers herausbekommen und das Bild zurückfordern!«
»Weißt du nicht, was in Florenz geschieht
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