Die Hure Und Der Moench
und sehnte sich nach Vater, Mutter und Geschwistern. Warum war es denn so schlimm, dass sie mit diesem Jungen getanzt hatte? Ihr war immer kälter geworden, und die Handgelenke waren bei dem Versuch, die Fesseln zu lösen, aufgescheuert. Nach einer Ewigkeit kehrte er mit dem Jungen zurück, der sehr niedergeschlagen aussah. Was war dann geschehen? Sie konnte sich nicht erinnern. Nur an das Feuer, an den Geruch verbrannten Fleisches.
Ein Knarren riss sie aus ihren Gedanken. Die Tür öffnete sich langsam, das hereinfallende Sonnenlicht wurde von einem Schatten verstellt. Die Tür schloss sich quietschend. Die Gestalt hantierte mit Feuerstein und Schwamm, eine Öllampe wurde entzündet. Angelina starrte den Mann an. Er war in einen schwarzen Kapuzenmantel gekleidet. Das war nicht Tomasio.
Es war der Mönch, der sie die ganze Zeit bedroht und verfolgt hatte! Er schob seine Kapuze zurück. Als sie sein Gesicht sah, glaubte Angelina ohnmächtig zu werden. Domenian stellte die Lampe auf den Boden und näherte sich ihr. »Jetzt weißt du also wieder, wer ich bin«, sagte er.
Angelina antwortete nicht. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Das war also der Mörder von Fredi, Matteo und Eleonore. Oder war es Tomasio gewesen? Nein, als sie die Zufriedenheit in seinen Augen sah, wusste sie es: Er war für all diese Tode verantwortlich, Tomasio war nur ein Handlanger gewesen, ein schwacher Mensch, verliebt in die falsche Frau, in sie. Und als er Angelina nicht bekommen konnte, hatte er sie ihrem Feind ausgeliefert. Und Domenian würde auch sie töten. Er konnte sie nicht heiraten. Er wollte etwas anderes.
|396| Francesco fiel ihr ein. Sie hoffte inständig, dass er in Sicherheit war.
»Warum?«, fragte sie nur.
»Du warst ein besonderes, ein so hübsches Kind«, antwortete Domenian. »Ich habe mich auf der Stelle in dich verliebt, als ich dich das erste Mal sah. Das war in der Nähe eures Landguts. Du hast mit einer Freundin am Fluss gespielt, und ich habe euch dabei beobachtet. Ihr wart unschuldige Kinder, und doch hast du so ein wissendes Lächeln auf den Lippen gehabt. Ich wurde euer Vertrauter. Bis zu dieser
Festa Sagra
, die in Fiesole stattfand.«
»Was geschah dort?«, fragte Angelina. Sie glaubte zu ersticken.
»Ich suchte dich und fand dich in den Armen meines Bruders. Er hegte wohl dieselben Gefühle für dich wie ich. Aber das konnte ich nicht dulden. Mein Bruder war immer vom Glück begünstigt gewesen. Ihm zahlten meine Eltern eine Ausbildung als Kaufmann in Florenz, und ich wurde immer nur herumgestoßen. Selbst zu einem Bauern würde ich nicht taugen, sagte mein Vater. Und du wolltest nicht mich, sondern meinen Bruder! So fing ich dich auf dem Fest ab, als du zu deinen Eltern zurückgehen wolltest, und brachte dich in diesen Keller. Ich erkannte, dass du den Teufel im Leib trägst. Den wollte ich dir austreiben, um deine Seele zu retten. Aber du hast dich gegen mich gestemmt, es ist mir nicht gelungen. Mein Bruder musste sterben, weil er sich nicht von der Sünde losgesagt hat.«
»Warum hast du mich am Leben gelassen?«, fragte Angelina zitternd.
»Ich konnte mein Werk an dir nicht vollenden«, entgegnete Domenian. »Aber ich habe seitdem immer an dich gedacht. Eines Tages, das wusste ich stets, würde ich das einmal Begonnene fortsetzen. Und nun, da mein Herr den Flammen übergeben wurde, ist der Tag gekommen, an dem ich es vollenden werde.«
»Warum musste Fredi sterben?«
»Er war ein durch und durch sündiger Mensch, wie auch Matteo. Beide haben dich mit ihren Gedanken und Taten beschmutzt. Und du, du wolltest ihn doch auch nicht!«
|397| »Was war mit Francesco?«
»Dem habe ich die
Fanciulli
auf den Leib gehetzt. Es sollte eine Warnung sein. Aber ich habe ihn mir, wie auch dich, für das Ende aufgespart.«
»Aber was hatten Matteo und Eleonore denn verbrochen, um eines so grausamen Todes zu sterben?«
»Ich war unterwegs nach Rom zum Papst, als ich von Tomasio hörte, wohin ihr geflohen wart. Es war reiner Zufall, dass ich ihn in Siena traf! So nahm ich einen Umweg über den Lago Trasimeno, fand dich mit Matteo in einer Umarmung und tat ihm Gift in den Wein, der in der Küche stand. Ich hatte erfahren, dass nur er davon trank. Später hörte ich, dass Eleonore in Florenz die Umtriebe gegen meinen Meister Savonarola fortgesetzt hat. Das konnte ich nicht dulden!«
Angelina überlegte, ob er vielleicht verkleidet auf Eleonores Feier anwesend gewesen war.
»Eins noch«, sagte Angelina.
Weitere Kostenlose Bücher