Die Hure Und Der Moench
mehr, weiterzugehen. In dem kleinen Ort Fiesole, den sie wohl kannte von ihren Aufenthalten im Landhaus, fragte sie nach dem Kloster Corona della Santa Maria. Man wies ihr die Straße nach Süden. Bevor sie sich auf den Weg machte, stieg sie auf eine Anhöhe und warf einen letzten Blick zurück auf die Stadt Florenz. Wie eine Perle lag sie da im milden Licht, von Türmen und Palästen durchsetzt; die Kuppel des Domes ragte hervor wie ein Zuckerhut. Beim Weitergehen hatte Angelina Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die kahlen Weinberge erstreckten sich links und rechts des Weges, ein Wind war aufgekommen, der ihr ins Gesicht blies. Konnte sie sich gegen ihr Schicksal auflehnen, war es möglich, seiner Bestimmung zu entkommen?
Aber sie hatte diesen Weg nun einmal eingeschlagen und wollte ihn zu Ende gehen. Vor ihr ragte auf einem Hügel das Kloster auf, ein Gebäude aus grauen Steinen mit einem Glockenturm. Die Wand war von Efeu überwuchert. Die Pförtnerin, im schwarzen Habit der Benediktinerinnen, nahm sie in Empfang. Die Nonne führte Angelina durch einen Hof mit einer Zisterne. Ein Kreuzgang war rund um diesen Hof angelegt. Mutter Elisa, die Äbtissin, weile zurzeit im Kloster und werde darüber entscheiden, ob man Angelina als Novizin aufnehmen könne, erklärte die Pförtnerin. Die Äbtissin, eine kleine, ältere Frau mit wieselflinken Augen, sah von einem Buch auf, als die beiden das Zimmer betraten. Es war spärlich eingerichtet. Die Pförtnerin empfahl sich, und Mutter Elisa bat Angelina, auf einem Schemel Platz zu nehmen.
»Du willst unserem Orden beitreten, habe ich gehört«, sagte sie mit einer tiefen, angenehmen Stimme. »Wie heißt du, und was bewegt dich zu diesem Schritt?«
Angelina war auf diesen Augenblick gefasst gewesen und hatte sich etwas zurechtgelegt. Sie wollte zwar nicht die ganze Wahrheit sagen, aber zumindest so viel, dass sie sich später nicht in Widersprüche verstricken würde.
»Ich will mein Leben nur noch Gott und einer Klostergemeinschaft |237| widmen, ehrwürdige Frau Äbtissin, weil ich keinen Platz in der Welt habe«, sagte sie.
»Wie bist du auf unser Kloster gekommen?«
»Der Bruder eines Freundes wohnt hier in der Nähe und beliefert Euch.«
»Hast du keine Familie?«
»Meine Familie hat mich verstoßen«, antwortete Angelina.
»Ich frage nicht, warum«, meinte Suor Elisa. »Das musst du allein mit Gott und deinem Gewissen abmachen. Aber du bist jung, und auch meine alten, schon etwas trüben Augen sehen, dass du hübsch bist. Hast du nie daran gedacht, dich zu vermählen?«
»Gedacht habe ich schon daran«, antwortete Angelina. »Aber ich bin nicht dafür bestimmt.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Meine Erfahrung.«
»Nun gut. Bist du bereit, das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams abzulegen und dich von uns ein Jahr lang als Novizin prüfen zu lassen? Bist du bereit, die Ordensgewänder anzulegen und dich bis zur Profess in die Regeln des Klosters einzufügen?«
»Ich bin dazu bereit, ehrwürdige Frau Äbtissin. Seid Ihr denn bereit, mich aufzunehmen?«
»Einige Nonnen haben das Kloster in letzter Zeit verlassen, um nach Florenz zu gehen. Der Prior des Klosters San Marco hat sie mit seinen Reden betört.« Sie schüttelte verstimmt den Kopf. »Also haben wir Platz für Novizinnen. Üblicherweise sollte jede Nonne eine Mitgift für das Kloster bringen, aber das wäre wohl in deinem Fall etwas schwierig.«
Angelina trat auf die Äbtissin zu, beugte sich zu dem Ring an ihrem Finger hinab und küsste ihn.
»Ich danke Euch, ehrwürdige Frau Äbtissin. Ich glaube, hier werde ich meinen Frieden finden, den mit Gott und der Welt.«
Die Äbtissin läutete eine kleine Glocke. Eine Nonne in schwarzer Tracht erschien.
|238| »Jetzt geh mit Suor Dorothea, lass dich einkleiden und in den Ordensregeln unterweisen. Sie wird dir auch deine Zelle zeigen.«
Suor Dorothea, eine schlanke Frau mit bräunlicher Hautfarbe, bedeutete Angelina, ihr zu folgen. Als Erstes führte sie Angelina in dem kleinen Kloster herum.
»Es liegt sehr abgeschieden von der Welt«, sagte Dorothea fast entschuldigend. »Das meiste, was wir brauchen, stellen wir selbst her.« Sie schritten durch eine rückwärtige Pforte hinaus. Angelina sah Weinberge und Äcker, Weiden mit Kühen, Ziegen und Schafen. Zurück im Kloster, zeigte Dorothea ihr das Refektorium, den kleinen Kapitelsaal und schließlich die Zelle, die Angelina bewohnen sollte. Sie bestand aus einem Schlaf- und
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