Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
eben sich selbst.
Als sie mit ihm die Treppe hinunterging, fiel ihr der Geruch auf, den Bruder Sandro hinter sich her zog, der Geruch von Wein. Als sie aus dem Haus auf die Piazza del Popolo traten, war ihm kurz schwindelig, und er musste sich mit beiden Händen auf einem steinernen Löwenkopf abstützen.
»Kann ich Euch helfen?«, fragte sie. Sie verkniff sich die Frage nach dem Grund seiner Trunkenheit, die nur halb abgeklungen war, denn der Grund war so offensichtlich wie die Trunkenheit selbst: Der Grund schlief in jenem Haus, das sie gerade verlassen hatten.
Ihr Hilfsangebot hatte seinem Zustand gegolten, doch er antwortete: »Ja, ich bin hier, um Euch zu fragen, ob...« Ein krampfartiges Zucken erfasste seinen Körper. Er presste eine Hand auf den Bauch, mit der anderen stützte er sich auf dem Löwenkopf ab, und sein Blick versank für einen Moment in Carlottas Augen. »Bevor ich Euch um einen Gefallen bitte, der mir sehr am Herzen liegt, muss ich wissen, ob ich Euch vertrauen kann.«
»Was für eine Frage! Ihr habt mir in Trient vermutlich das Leben gerettet.«
»Wenn ich Euch sagen würde, dass der Gefallen, um den ich Euch bitte, im entfernten Sinn auch ein Gefallen für den Papst wäre …«
In diesem Moment übergab sich Sandro auf den Löwenkopf. Carlotta blieb in seiner Nähe, aber ihre Gedanken waren weit entfernt. Sieben Jahre, all das Leid fand noch einmal in ihrem Kopf statt.
Sie dachte an das Unheil, das Giovanni Maria del Monte, der jetzige Papst Julius III., vor fast sieben Jahren über ihre Familie gebracht hatte. Als er noch Erzbischof von Siponto war, hatte er zugelassen, dass die Inquisition alle Bewohner des
Nonnenklosters, in dem Carlottas Tochter Laura unterrichtet wurde, in Gewahrsam nahm. Laura war bis heute verschwunden und vermutlich tot; Lauras verwaiste Freundin Inés war von der Inquisition gefoltert worden und litt noch heute unter den Folgen; Carlottas Gatte, ein Sekretär der Diözese und Untergebener des Erzbischofs, zerbrach an der Tragödie und starb bald darauf; und Carlotta war aus wirtschaftlicher Not gezwungen, mit ihrem Körper Geld zu verdienen, als Konkubine reicher Leute und Prälaten in Rom. Es hatte Tage gegeben, an denen sie den Schmerz, ihre über alles geliebte Tochter und ihren Mann verloren zu haben, kaum noch ertrug, und Nächte, in denen sie überlegte, sich umzubringen. Aber dann hatte ihr der Gedanke an Rache neue Lebenskraft gegeben. Giovanni Maria del Monte – mittlerweile zum Papst geworden – war mitschuldig daran, dass ihre Familie und ihr Leben zerstört worden waren. Da er ihr die Tochter genommen hatte, war sie – Auge um Auge – im letzten Jahr zum Konzil nach Trient gefahren, um ihm den Sohn zu nehmen, den neunzehnjährigen Kardinal Innocento, sein illegitimes Kind. Sandro war im Zuge seiner Ermittlungen gegen einen Bischofsmörder hinter Carlottas Geheimnis gekommen, und sie hatte ihm – in einer Art Beichte – alles gestanden und ihm geschworen, ihren Plan fallenzulassen. Niemand außer ihnen beiden wusste von Carlottas Geheimnis, nur noch Inés, und die war verstummt und lebte bei einer jüdischen Familie in Trient.
Sie reichte Sandro ein Tuch, mit dem er sich den Mund abwischte. »Ich habe mich manchmal gefragt«, sagte er mit einem skeptischen Unterton, »ob Innocento tatsächlich Selbstmord begangen hat. Man hat ihn mit einem Dolch im Bauch gefunden, das ist wahr, und die Tür war von innen verriegelt, aber... wir beide wissen, dass es einen Geheimgang zu seinem Quartier in Trient gab.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Denkt, was Ihr wollt: Ich
habe ihn jedenfalls nicht umgebracht.« Sie hatte die Fähigkeit, derart überzeugend zu lügen, dass sie fast selbst daran glaubte; aber Innocento war durch ihre Hand gestorben. Seit Hieronymus’ Tod gab es keinen Tag, an dem sie dieses Verbrechen nicht bereute. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los, dass Hieronymus ihr genommen worden war, weil sie ihren Schwur gebrochen und ihre Rache über alles gestellt hatte. Sie hatte das Schicksal herausgefordert und war auf grausame Weise belehrt worden. Seither lebte sie in einer Art von Hölle auf Erden.
Sie wandte sich ab und ging ein paar Schritte auf die Piazza. Zu dieser Stunde strömte Karren auf Karren durch das Nordtor in die Stadt, beladen mit Getreide, Holz, Trockenfleisch, Salzfisch, Früchten, Zirkusvolk und Vagabunden.
Sandro holte Carlotta ein. »Tut mir leid, wenn ich Euch gekränkt habe. Reden wir nicht mehr über die alten
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