Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Nacht mischte. Gatten empfingen ihre Konkubinen, Gattinnen ihre Liebhaber, Fromme die Heilige Kommunion, gedungene Mörder ihre Aufträge, Familien das Abendbrot, Dichter ihre Inspiration, Töchter aus reichem Haus ein neues Kleid mit freizügigem Dekolletee. Ein ganzes Zeitalter, ein gewisses Lebensgefühl, fand seinen Ausdruck in dieser Stunde zwischen sechs und sieben Uhr, der Kupferstunde Roms, die vom Läuten der Kirchenglocken begleitet war. Ein sündiges, ruchloses Zeitalter, das seinen Ausdruck auch in ihr, in Maddalena, fand. Dessen war sie sich bewusst. Sie war der Inbegriff Roms. Sie war die Königin.
Im Kupferlicht bekam ihr Gesicht etwas Sanftes, fast Demütiges, das es sonst nicht hatte. Maddalenas Gesicht war hell, ein schattenloses, klares Gesicht mit klugen, kühlen Augen und umrahmt von den blonden Haaren einer Venus. Sie bewegte sich stets langsam. Ihre Gesten waren gelassen und beinahe perfekt, da sie sie sorgfältig einstudiert hatte. Es gab Bildhauer, die marmorne Skulpturen schufen, die Maddalenas Züge trugen. Rom war voll von Statuen mit Antlitzen ihrer Vorgängerinnen, den Geliebten anderer Päpste, den Geliebten Alexanders VI., Clemens’ VII. und Pauls III. Diese Gesichter versteckten sich meist in Bildnissen antiker Göttinnen, manchmal – und frevelhafterweise – aber auch in denen einer Madonna. Die meisten der Geliebten waren von edlem Geblüt.
Maddalena jedoch war die Tochter eines Fischhändlers, und gerade das machte ihren Aufstieg zu einer Legende. Denn es gehörte weitaus weniger dazu, die Geliebte eines Papstes zu werden, wenn man einen großen Namen trug und von blauem Geblüt war, als wenn der Geruch der Armut einem anhing. Kaum jemand in Rom, der nicht ihren Namen kannte, und kaum ein Botschafter, der die Existenz einer gewissen Maddalena Nera noch nicht dem heimischen Hof mitgeteilt hatte. Die Königin von Rom. Ob in Westminster, in den Tuilerien, im Dogenpalast zu Venedig oder im allerkatholischsten El Escorial hallte ihr Name, der Name einer Fischhändlerstochter, wider und rief entweder Neugier, Neid, Verachtung oder abgrundtiefen Hass hervor.
Wieso glaubte nur jeder, sie habe es geschafft, sie habe ausgesorgt und keine Wünsche mehr. Wieso nur jeder glaubte, sie müsse glücklich sein mit dem, was sie habe.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam Porzia, und die Schwermut der vergangenen Stunden geriet in Vergessenheit. Sie kam einmal in der Woche abends vorbei, unterhielt sich mit Maddalena und brachte sie mit einigen derben Schoten zum Schmunzeln, trank zwei oder drei Gläser Wein und stürzte sich danach sofort wieder in Trastevere, das römische Vergnügungsviertel, das Viertel der Ausgestoßenen, wo ihre Heimat war.
Porzia sprach mit Vorliebe über Männer. »Ich kann sie nicht ertragen«, sagte Porzia, »diese Männer, die wie Torten sind: mit einer bröseligen Grundlage und viel Schaum darüber.«
Porzia lachte wie immer aus vollem Hals über ihre eigenen Witze, laut und zuchtlos, ein Lachen, als käme es aus einer unbarmherzigen Wildnis. Ihre Ausdrucksweise und ihre Stimme waren gröber als die von Waschweibern, woran auch Maddalenas Einfluss bisher nichts geändert hatte.
Während Maddalena die Geliebte eines einzigen Mannes
war – des wichtigsten Mannes von Rom, manche sagten, der Welt -, war Porzia die Geliebte tausender Männer, für deren Namen sie sich nicht interessierte und die sich auch nicht für ihren Namen interessierten. Sie war eine Straßendirne mit fleckigen, löchrigen Röcken. Zwischen ihr und Maddalena lag die gesamte Hierarchie des Milieus der Huren von Rom. Es gab die harten Arbeiterinnen wie Porzia, die sich für Hungerlöhne in dunkle Gassen stellten und dann und wann einen betrunkenen Söldner oder Handwerksknecht bedienten; es gab die Huren, die in einfach ausgestatteten Hurenhäusern arbeiteten, wo kleine Kaufleute und niedere Geistliche verkehrten, sowie solche Huren, die es in bessere Hurenhäuser schafften. Und es gab Maddalena und zehn, zwanzig weitere Konkubinen in Rom, die es bis ganz nach oben geschafft hatten und Favoritinnen hochgestellter Persönlichkeiten waren. Der hierarchische Abstand der beiden Frauen glich dem einer Bauernmagd zu einer Prinzessin.
»Mir geht’s ähnlich«, klagte Maddalena. »Weißt du, was das Schlimmste für mich ist? Dass ich mich an jeden einzelnen meiner früheren Männer erinnern kann, als wären sie Katapultgeschosse, die mich getroffen haben. Jeder, der mich jemals angefasst und geküsst
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