Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Geschichten, sondern über die gegenwärtigen. Kennt Ihr Maddalena Nera?«
»Nur vom Hörensagen. Sie ist die Geliebte des Papstes.«
»Was wisst Ihr über sie?«
»Im Sommer letzten Jahres, als ich noch Konkubine in Rom war, habe ich sie zwei-, dreimal aus der Distanz gesehen. Eine anmutige junge Frau, ein bisschen kühl. Sie ist unbeliebt, man hält sie für arrogant, aber das bedeutet nichts, denn man hält alle prominenten Konkubinen für arrogant. Ich schätze, das ist der Neid.«
»Maddalena Nera ist tot.«
Sie blieb abrupt stehen, sodass ein Karren mit Schweinen ausweichen musste und beinahe eine junge, gelangweilte Frau überfuhr, die vor einem Korb mit vergammelten Rüben saß und unentwegt ihren Zopf flocht. »Du Esel«, schimpfte sie. »Wir sind hier nicht in deinem verdammten Kuhdorf, pass gefälligst auf, wohin du fährst.« Die gegenseitigen Beschimpfungen – eine typische Eigenart einfacher römischer Bürger –
gingen weiter. Sandro und Carlotta, die beide eine bessere Erziehung genossen hatten, wandten sich ab.
»Tot?«, fragte Carlotta. »Aber – Maddalena war höchstens fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre alt. Wie ist das...?« Sie begriff schlagartig. »O Gott! Sie wurde ermordet! Und Ihr sollt …«
»So ist es. Ich soll nicht nur, ich will auch. Maddalena ist übel zugerichtet worden. Sie wurde geschlagen und erdolcht. Wer immer das getan hat, ist entweder eiskalt oder war rasend vor Wut, und er muss für das Verbrechen bezahlen. Dafür brauche ich Eure Hilfe.«
Carlotta schloss die Augen. Sie hatte noch gut die Schläge in Erinnerung, die sie als Konkubine hatte erdulden müssen, Schläge ins Gesicht, ausgeteilt von Männern, die schlecht gelaunt waren oder – weit schlimmer – das Schlagen genossen. Dabei hatte Carlotta noch Glück gehabt. Sie wusste von Leidensgenossinnen, die an inneren Blutungen starben, verursacht durch Tritte in den Leib, und anderen, die erwürgt aufgefunden wurden. Manche verschwanden von einem Tag zum anderen – für immer.
»Natürlich helfe ich«, sagte sie und schluckte. Der Tod Maddalenas, auch wenn sie sie nicht gekannt hatte, erschütterte sie. »Was kann ich tun?«
»Ihr kennt Euch in dem Milieu aus, in dem Maddalena lebte, bei den Huren von Rom. Fragt ein bisschen herum. Mit wem war sie befreundet, mit wem verfeindet? Wer profitiert von ihrem Tod? Mit wem war sie zusammen, bevor sie die Konkubine des Papstes wurde? Hat sie vielleicht, neben dem Papst, noch andere Kunden gehabt? War Maddalena Nera ihr richtiger Name?« Er holte tief Luft. »Selbst wenn ich wüsste, wen ich fragen muss: Mir würde niemand etwas erzählen.« Er zupfte an seiner schwarzweißen Jesuitenkutte.
Maddalenas Tod hatte Carlotta erschüttert. Sie konnte es
kaum erwarten, die Informationen, die Bruder Sandro verlangte, zu beschaffen. Und sie wusste auch, wo sie ihre Suche beginnen würde: bei Signora A, einer gemeinsamen Bekannten von ihr und Maddalena oder, genauer gesagt, einer Art gemeinsamer Mutter. Signora A – sie wurde von allen so genannt – war die Vorsteherin des renommiertesten Hurenhauses der Stadt, des Teatro . Die meisten römischen Konkubinen – Geliebte von Prälaten und Adligen – hatten ihre Karriere bei Signora A begonnen, und wenn zwei Konkubinen einmal keinen Gesprächsstoff mehr hatten, redeten sie über die Signora und das Teatro , beinahe so wie Geschwister sich über ein Elternhaus unterhalten. Allein der Gedanke an die Signora erzeugte in Carlotta augenblicklich ein gutes Gefühl wie an eine Heimat.
Bruder Sandro fragte: »Was meint Ihr: Werden die Umstände von Maddalenas Tod lange geheim bleiben?«
»Keinesfalls! Die zwitschernden Spatzen, die sich in diesen Tagen auf den Bäumen versammeln, sind nichts gegen das Zwitschern der Huren von Rom. Morgen früh weiß auch die letzte, dass Maddalena tot ist, und egal, was man über ihren Tod offiziell bekanntgeben wird: Die Huren wissen es besser, glaubt mir. Und wenn es die Huren wissen, dann weiß es bald halb Rom.«
»Dann dürft Ihr meinetwegen ganz offen sein, was Maddalenas gewaltsamen Tod angeht. Aber nennt meinen Namen nicht, denn offiziell ermittle ich allein. Und haltet Euch bitte mit eigenen Vermutungen zurück.«
Carlotta verstand, was er ihr mit dieser letzten Bemerkung sagen wollte. Maddalena war die Geliebte Julius III. gewesen, Maddalena war tot. Der Gedankensprung zu einer allerersten Mordtheorie war da nicht weit.
»Haltet Euch vor Augen«, fuhr er fort, »dass ich den
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