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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Kardinal konzentrieren, meint Ihr nicht auch, Carissimi?«
    »Nein«, sagte Sandro, »das meine ich nicht.«

9
    Das Teatro war das berühmteste Hurenhaus Roms. Am Tiberufer in Höhe der Tiberinsel gelegen, schmiegte es sich an die Ruine des antiken Marcellus-Theaters, dem es ursprünglich seinen Namen verdankte. Mittlerweile hatte dieser Name längst eine zweite Bedeutung bekommen.
    Im Teatro traf die Welt der Edlen auf die Welt der Ehrgeizigen. Hier hatten etliche Karrieren begonnen, zahllose Huren waren in den letzten zwanzig Jahren zu Konkubinen von Bischöfen, Kardinälen, Adeligen, Feldherren, reichen Kaufleuten und berühmten Künstlern aufgestiegen, die ins Teatro gekommen waren und Gefallen an einer der Frauen gefunden hatten. Die Orsini, die Colonna, die Sforza – fast allen männlichen Mitgliedern der großen Familien war das Teatro ein Begriff. Das sprach sich natürlich auch unter den Huren herum, und so ersuchten täglich junge Frauen um die Aufnahme in das Haus, Frauen aus anderen Hurenhäusern und Frauen, die neu in die Stadt kamen. Nur die Schönsten, die Sinnlichsten und auch die Intelligentesten unter ihnen wurden ausgewählt. Jede Hure, die im Teatro arbeiten wollte, musste etwas Außergewöhnliches an sich haben: Beispielsweise waren die Frauen besonders groß oder auf eine hübsch anzusehende Weise rundlich, hatten Augen so grün wie Smaragde oder eine Haut so weiß wie ein Kalkfeld, einen unschuldigen oder herausfordernden Blick, eine Stimme scharf wie der Hieb einer Rute oder tief wie die eines Mannes, eine heitere oder traurige oder strenge Ausstrahlung.
So gesehen hatte jede Hure des Teatro eine Rolle zu spielen, aber keine künstliche, aufgezwungene, sondern eine, die ihr von der Natur oder vom Schicksal bestimmt worden war. Sie waren wie Figuren, und das Teatro war ihre große Bühne, ein Ausgangspunkt für Triumphe und Tragödien.
    Ohne Signora A, die Vorsteherin, hätte das Teatro nie diese Berühmtheit erlangt. Sie hatte ein nicht einmal mittelmäßiges Hurenhaus innerhalb von dreißig Jahren an die Spitze geführt, und es rankten sich die wildesten Gerüchte um die Vergangenheit der Signora. Es hieß, sie sei im Teatro geboren worden, von einer Hure, die überdies die Geliebte des meistgefürchteten Mannes Italiens gewesen sein sollte, des Papstsohnes Cesare Borgia. Und sie sei in jenem Haus aufgewachsen, dessen Vorsteherin sie heute war. Mittlerweile war ihre nebulöse Vergangenheit in eine Art ungeschriebene Ilias der Huren eingegangen, eine mündliche Heldensage, in der die Konkubinen die Heldinnen waren, seien es tragische oder komische, und die Prälaten und Adeligen die Götter. Tatsache war, dass die Signora mit einundzwanzig Jahren die Leitung des Teatro übernommen hatte und dass nur sie allein wusste, wer der oder die Inhaber des Hauses waren.
    Antonia – die all das von Carlotta auf dem Weg zum Teatro erfuhr – hatte sich die Vorsteherin eines Hurenhauses immer wie einen riesigen Blumenstrauß vorgestellt: in einem Kleid voller Schleifen und Rosetten und mit einem in allen Farben der Schminkkunst changierenden Gesicht. Signora A erfüllte diese Vorstellung nicht im Entferntesten. Sie war eine hagere, schon ältliche Frau mit herben, verschlossenen Zügen, und das schlichte Kleid an ihr schien ungefähr so alt zu sein wie sie selbst. Nichts Üppiges, nichts Verheißungsvolles ging von ihr aus. Inmitten des überladenen und ein wenig abgenutzten Prunks der Einrichtung wirkte die Signora wie eine Insel aus schwarzem Gestein.

    »Carlotta? Carlotta da Rimini! Das ist ja eine Ewigkeit her. Lass dich ansehen.« Die Signora urteilte nach einiger Betrachtung: »Wie ein Fresko von Michelangelo Buonarroti – die Haut von Haarrissen übersät.«
    Carlotta antwortete: »Und du, meine Liebe, siehst aus wie eine Matrone, die soeben dem Alten Testament entsprungen ist.«
    Antonia traute ihren Ohren nicht, denn sie hätte nicht einmal eine Feindin auf diese Weise begrüßt. Glücklicherweise stellte sich die scharfzüngige Begrüßung als ein Ritual heraus, und die beiden Frauen umarmten sich freundschaftlich. Zwischen ihnen entstand sofort eine Atmosphäre der stillen Verbundenheit, wie es sie nur zwischen zwei Menschen geben kann, die viele Erinnerungen und Erfahrungen teilen.
    »Wo warst du so lange?«, fragte die Signora.
    »Hier und dort.«
    »Das Letzte, was ich hörte, war, dass du dir einen Bischof an Land gezogen hast. Hat er dich verlassen?« Die Signora klang nicht ernstlich

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