Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Anfälle, weil er sie an den Holzkeller erinnerte, in den man sie als Kind oft eingesperrt hatte. Sie hasste Dunkelheit. Ich musste sie mehrere Male beruhigen, indem ich ihre Hand nahm und besänftigend auf sie einredete, während wir den Raum von einer Tür zur anderen durchquerten. Es dauerte ein volles Jahr, bis ich sie so weit hatte, dass sie sich allein hier hereintraute.« Signora A versank in ein kurzes Schweigen, bevor sie fortfuhr. »Und so war es mit allem. Ich nahm sie vom ersten Tag an an die Hand. Als sie im Teatro ankam, war sie eine übel riechende, verlumpte Dienstmagd, die man wegen ihrer Vorliebe fürs Stehlen zum Teufel gejagt hatte. Aber ich brauchte nur einen Blick, um zu erkennen, dass sie intelligent genug war, um ihren Weg nach ganz oben zu machen.«
Carlotta lehnte sich nun auch über den Tresen, in einer Weise, die, wie Antonia fand, sehr geübt wirkte, so als nehme sie im nächsten Moment zwei Becher Wein in Empfang. »Du hattest sie sofort als Geliebte des Papstes ausersehen?«
»Nein, natürlich nicht. Damals war noch Paul III. Papst, und der hatte so viele Geliebte, dass ich es als Verschwendung angesehen hätte, ihm Maddalena vorzustellen. Er hätte sie vernascht wie eine Süßspeise, hätte zweimal gerülpst und sie am übernächsten Tag vergessen. Und wer nach Paul III. Papst würde, konnte man ja nicht wissen – denk an Leo X., vor dreißig Jahren, der hat junge Männer bevorzugt. Das Einzige, was ich wusste, war, dass sie das Potenzial hatte, einen bedeutenden Mann in Feuer und Flamme zu versetzen, vielleicht einen Medici oder einen Grafen d’Este oder einen ausländischen Prinz. Also gab ich ihr Unterricht. Ich unterrichte jedes meiner Mädchen im Lesen und Schreiben, damit sie nicht
wie dumme Gänse vor den Herren stehen. Ich wasche sie, ich putze sie heraus, ich achte darauf, dass sie ihre Zähne pflegen, und sage ihnen, worauf sie achten müssen, um gesund zu bleiben, ich bringe ihnen Stilgefühl bei, erkläre ihnen, wo ihre Stärken liegen... Aber für Maddalena tat ich weit mehr. Sie lernte beispielsweise von mir, sich bei Tisch zu benehmen, und sie lernte, aus einem riesigen Vokabular zu schöpfen, um sich perfekt auszudrücken. Ich machte sie zu einer Dame und gab ihr das Gefühl, dass sie alles, einfach alles erreichen könne, wenn sie sich nur an meine Instruktionen hielt.«
Vor Antonias geistigem Auge nahm die Gestalt der Signora A Konturen an. Sie war wie eine Glucke, eine Pensionsmutter im Pensionat der Huren. Grammatik, Körperpflege, Benehmen, das waren die Unterrichtsfächer, und vermutlich wurde keiner ihrer Schützlinge in den Schauraum männlicher Gier und Bewunderung geschickt, bevor nicht alle Lektionen gelernt waren. Sie hatte unzählige Frauen aufgenommen, aufgelesen von der Straße, hatte sie hochgepäppelt und über viele Jahre unterrichtet, hatte sie geformt, mit dem Ziel, ihnen die bestmögliche Partie zu verschaffen. Und schließlich, wenn das Ziel erreicht war, hatte sie alle in ein ungewisses Schicksal gehen sehen.
»Und tat sie das?«, fragte Antonia. »Hat Maddalena Eure Ratschläge befolgt, Signora?«
»Sie klammerte sich an meine Ratschläge wie eine Ertrinkende an ein Holz. Obwohl sie mir anfangs kein Wort glaubte, wie ich ehrlich hinzufügen muss. Sie hatte nicht die Spur Selbstsicherheit, was man nur versteht, wenn man sie im Vergleich mit den anderen Mädchen des Teatro gesehen hat, exotische Mädchen, Mädchen mit dunklen Augen, Mädchen also, deren Schönheit einem ins Gesicht springt. Maddalenas Schönheit hingegen war von einer Art, die man erst beim zweiten oder dritten Hinsehen bemerkte. Ich weiß, dass sich das merkwürdig
anhört. Ihre Nase war etwas zu groß und begann fast am Haaransatz, und ihre Brüste waren arg klein. Maddalenas Geheimnis war ihr kühler Blick, ihre blonde, kühle Ausstrahlung, die sie wie einen Schutzschild einsetzte. Männer, die an schneller Liebe interessiert sind, von orientalischer Sinnlichkeit träumen und das Unkomplizierte suchen, finden keinen Gefallen an einer solchen Frau. Aber ich wusste, es gibt Männer, die einem Blick aus Maddalenas frostigen Augen verfallen. Solche Männer ziehen als Eroberer aus, die zu dem Feuer vordringen wollen, das unter der Eisschicht brennt, und sie enden, ehe sie sich versehen, als Bettler. Natürlich gibt es charakterlich starke Männer, die Maddalena ebenbürtig gewesen wären, doch gerade solche Männer gehen nicht ins Hurenhaus. Diejenigen, die hierherkommen, sind
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