Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
besorgt. Ihre abgeklärte Stimme erinnerte an eine Großmutter, die mit einer ihrer vierunddreißig Enkelinnen spricht und durch keine Mitteilung mehr erschüttert werden kann und die sich dieser jungen Verwandten dennoch nahefühlt.
»Ich bin derzeit allein«, antwortete Carlotta ausweichend.
»Kannst du dir das leisten?«
»Eigentlich nicht.«
»Verstehe, du möchtest wieder im Teatro anfangen. Die Jüngste und Schönste bist du nicht mehr, Carlotta, das weißt du. Trotzdem würde ich dich noch einmal nehmen. Du hast dir in den Jahren, in denen du hier gearbeitet hast, deine Bewunderer geschaffen, die manchmal noch heute nach dir fragen.«
»Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier, Signora A.«
Carlotta winkte Antonia, die sich im Hintergrund gehalten hatte, heran. »Darf ich dir zunächst meine Freundin Antonia Bender vorstellen.«
Die dunkelgrauen Augen der Signora bekamen vom einen Lidschlag zum anderen einen streng prüfenden Ausdruck. »Das Kleid ist indiskutabel grässlich. Hast du ihr das gegeben, Carlotta? Was Kleider angeht, hattest du immer schon einen zu bunten Geschmack. Die Haare sind ganz ordentlich, schade, dass sie nur strohblond sind. Aber das wird durch den Anflug eines rötlichen Schimmers wieder wettgemacht. Was mir besonders gefällt, sind die Sommersprossen. Sie lassen sie jung und unverbraucht wirken, wie ein unschuldiges Mädchen vom Land, wie eine Bauernmagd. Oder nein, Bauernmägde sind heutzutage ja gar nicht mehr unschuldig. Egal, wichtig ist, dass sie so wirkt. Wir haben niemanden mit Sommersprossen bei uns. Ich könnte sie gebrauchen.«
Antonia sah dabei zu, wie die Signora sie umrundete. Sie mochte die Direktheit dieser Frau, die nichts Abfälliges an sich hatte, und obwohl die Signora kaum eine Miene verzog, spürte Antonia, dass kein kalter, gefühlloser Mensch in ihr steckte.
Carlotta lächelte. »Signora A, ich habe Antonia nicht mitgebracht, um sie bei dir unterzubringen. Antonia ist Künstlerin.«
»Das behauptet die Hälfte meiner Mädchen auch. Sie sind alle Künstlerinnen der Matratze.«
Antonia fand, es sei Zeit, in das Gespräch einzusteigen. »Ich bin Glasmalerin«, sagte sie.
»Huch, du kannst ja sprechen«, sagte die Signora und sah Antonia mit ihrem verschlossenen Blick an. »Und du bringst sogar mehr als eine Silbe fehlerfrei heraus. Was ist das für ein Akzent, mit dem du sprichst?«
»Deutsch.«
»Das ist schlecht. Deutsche sind zu wenig exotisch. Wir machen
dich zu einer Schottin, wäre dir das recht? Eine katholische Schottin, die vor den protestantischen Verfolgungen geflohen ist. Das ist voller wunderschöner Tragik.«
Antonia wollte das Missverständnis aufklären, aber Signora A kam ihr zuvor. »Ich weiß, Schätzchen, du bist keine von uns, das habe ich längst begriffen. Ich habe nur Spaß gemacht.« Sie kniff Antonia in die Wange, wobei sie nach wie vor keine Miene verzog. Sie wandte sich wieder Carlotta zu. »Also gut, was führt euch her?«
»Können wir dich unter sechs Augen sprechen, Signora A?«, fragte Carlotta mit einem Seitenblick auf zwei alte Weiber, vielleicht ehemalige Mädchen dieses Hauses, die den Boden wischten. »Es geht um Maddalena. Hast du schon gehört, dass sie vergangene Nacht...«
Signora As herbes Gesicht zeigte kurz Gefühle. Sie fing sich jedoch schnell wieder.
»Ja«, sagte sie. »Gehen wir nach nebenan.«
Sie waren in einem fensterlosen Raum. Die Signora versäumte es, Kerzen oder Öllampen anzuzünden, und so fiel das einzige Licht durch eine Tür herein, die in einen von antiken Mauern umgebenen und von zwei Linden beschatteten Hof hinausführte. Die Tür war vermutlich geöffnet worden, um die Luft des Raumes aufzufrischen, die noch deutlich nach der verschwitzten und weinseligen Gesellschaft der vergangenen Nacht roch. Ein paar niedrige Liegebänke, die rundherum mit Schaf- oder Ziegenfellen bestückt waren, machten den Sinn des Raumes auch für Antonia schnell klar: Hier wurden die Gäste mit Wein und Vorgeplänkel in Stimmung gebracht. Dazu passte auch der Tresen, an dem sie standen, sowie die vier kleinen Fässer auf einem stabilen Holzgerüst an der Wand. Signora A lehnte sich von der anderen Seite des Tresens über die Platte. Sie sah plötzlich müde aus, was aber auch an der kargen
Beleuchtung liegen konnte. Das seitliche Licht von der Tür warf zahlreiche Schatten in ihr unebenes Gesicht.
»Maddalena hat diesen Raum gehasst, ja, gefürchtet. Sie bekam hier Atembeschwerden und panische
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