Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
beurteilen und entsprechende Entscheidungen treffen, denn wer zum Zeitpunkt des Todes eines Papstes auf der schwächeren
Seite stand, hatte nichts zu lachen. Nicht selten fanden sich die Vertrauten eines Heiligen Vaters nach der nächsten Papstwahl in einem zugigen Kloster auf dem Apennin wieder, wo sie Schweine hüten durften, und die römischen Kerker, so hieß es, hatten schon mehr als einen Geistlichen verschluckt. Sogar Kardinälen konnte die Wahl des »falschen« Papstes teuer zu stehen kommen. Aus diesem Grund fand innerhalb der Mauern des Vatikans ein permanentes Ringelrei geschlossener und gebrochener Allianzen statt, bei dem es schwerfiel, die Übersicht zu behalten.
Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Ersten auf ihn, Sandro, zukommen würden, wann man versuchen würde, ihn hineinzuziehen in die Spinngewebe der Bündnisse und Gegenbündnisse. Sandro war bisher verschont geblieben, und das aus zwei Gründen. Zum einen hatte er ein Amt inne, das es noch nicht lange gab, und er nahm eine Stellung ein, die für die zahlreichen grauen Eminenzen schwer einzuordnen war. Normalerweise war es die Aufgabe eines Visitators, in die Diözesen zu reisen und dort die Einhaltung kirchlicher Regeln zu überprüfen, als eine Art Wächter des Katechismus und der Gebote. Sandro reiste jedoch nicht. Er hatte einen sehr schönen Amtsraum, den er nicht brauchte, weil er nichts zu tun bekam. Für die meisten im Vatikan galt er daher als ein einfacher jesuitischer Mönch, der vor einem halben Jahr durch einen Zufall zum Ermittler in einer dubiosen Mordserie geworden war, zum Dank für seinen Erfolg ein Amt in Rom erhalten hatte und künftig keine besondere Rolle mehr spielen würde.
Zum anderen tat er seinerseits nichts, um Verbindungen zu knüpfen, ja, er fristete geradezu ein freiwilliges Eremitendasein innerhalb des Vatikans.
Trotz alledem: Dass er dem Papst direkt unterstellt war, würde früher oder später dazu führen, dass man versuchen würde, ihn für irgendetwas zu benutzen.
Wie hatte Papst Julius ihm vor sechs Monaten in Trient gesagt: Du wirst dich meiner Gunst erfreuen wie auch der Missgunst meiner Feinde. Im Falle meines Todes wirst du darauf angewiesen sein, in der Zeit bis dahin genug Freunde gefunden zu haben, die dich vor den zahlreichen Gegnern zu schützen vermögen, die sich wie Raubvögel auf meine Hinterlassenschaft stürzen werden.
Sandro hatte diese Worte nicht vergessen. Beherzigt hatte er sie allerdings noch nicht.
»Bruder Carissimi«, sagte Massa. »Wie schön, Euch gefunden zu haben. Entschuldigt bitte die Störung.«
In diesem Moment wusste Sandro, dass irgendetwas Außerordentliches vorgefallen sein musste, denn so freundlich war Massa ihm gegenüber sonst nie gewesen. In den ersten Wochen nach Sandros Ankunft in Rom hatte Massa gezögert, eine bestimmte Haltung ihm gegenüber einzunehmen, weil er Sandros Einfluss noch nicht einschätzen konnte. Bald darauf allerdings hatte er wohl beschlossen, Sandro als einen »niederen« Mönch anzusehen, was bedeutete, dass er mit ihm sprach, wie es seiner Laune beliebte. Und die war meistens schlecht.
»Eure Dienste werden dringend benötigt«, erklärte Massa. »Wir müssen uns beeilen. Ich habe zwei Pferde dabei.«
»Reiten wir in den Vatikan?«
»Auf den Gianicolo.« Der Gianicolo, Roms achter Hügel, war ein aus Villen bestehendes Wohnviertel am westlichen Stadtrand, überwiegend von Kardinälen und altem Adel bewohnt.
Sie saßen auf die Pferde auf. Bruder Massa hatte einige Mühe dabei. Er war – anders als Sandro – nicht gerade schlank und offensichtlich ungeübt im Umgang mit Pferden. Er trieb das arme Tier so ungeschickt an, dass es nicht wusste, was es tun sollte, und das wiederum reizte Massa, der das Pferd beschimpfte und immer wieder in die Seite trat. Nachdem Massa
sich mehrmals im römischen Gassengewirr auf dem Esquilin verirrt hatte, übernahm Sandro die Führung. Sogar bei Tag war es nicht immer leicht, sich zurechtzufinden, aber in einer so vollständig dunklen Nacht wie dieser waren Unkundige auf den Zufall angewiesen, um an ihr Ziel zu gelangen. Sandro hingegen war in diesem Viertel aufgewachsen, er hatte hier gespielt, hatte seine ersten Freundinnen hier geküsst, war hier mit seiner Mutter in die Kirche gegangen. Er kreuzte sogar die Straße, in der der kleine Palazzo der Carissimi stand, in dem auch heute noch seine Mutter, sein Vater und seine Schwestern lebten und in dem er selbst bis vor acht Jahren gelebt hatte.
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