Die Huren des Apothekers
Lukas hatte die
Bettvorhänge offengelassen und durch die Ritzen der Läden drang so
blendender Sonnenschein herein, dass es schon bald Mittag sein
durfte.
Ihre Füße trafen auf die Filzpantoffeln des
Landgrafen, die er auch jedem seiner Schreiber vermachte. Eine
Berührung des Holzbodens mit dem großen Zeh überzeugte Luzia, dass
der liebe Mann damit eine gute Idee hatte. Wenn die Dielen hier schon
solche Kälte ausstrahlten, musste der Steinboden im Schloss Füße
gefrieren lassen. Noch ein Punkt, in dem sie dieses Haus dem
Stadthaus der Familie vorzog: Dort gab es Fliesen im Schlafzimmer.
Luzia schlüpfte in die Schlappen und schlurfte
zur Waschschüssel. Mit hundekaltem Wasser wischte sie den Schlaf aus
den Augen und wurde wach. Wer hatte jemals das Gerücht in die Welt
gesetzt, Wein sei gesund?
Nachdem Luzia sich in ihr Oberkleid gehüllt
hatte, wickelte sie ein Brusttuch dicht um den Körper. Gegen das
über Nacht ausgekühlte Schlafzimmer wirkte das Treppenhaus geradezu
heimelig, aber Wärme spürte sie erst in der Küche. Trine saß mit
drei Mägden am Esstisch und hackte Gemüse, während Nesse in einem
dampfenden Kessel rührte. Nach einem langen Blick auf Luzia stand
Trine auf, ging zum Herd und schenkte aus einer blechernen Kanne in
eine Steinguttasse ein, die sie Luzia reichte. Ein Schnuppern
bestätigte ihr, dass sie Kaffee enthielt.
»Danke, Trine, das tut gut«, sagte sie nach dem
ersten Schluck. Tatsächlich klärte sich ihr Kopf.
Nesse streichelte sanft über ihre Schulter.
»Herrin, in dieser Zeit solltest du Wein und Bier nur in Maßen zu
dir nehmen.«
»Wahrlich«, bestätigte Trine. »Meine Schwester
sagte auch, dass sie in der frohen Zeit nicht viel vertrug. Möchtest
du etwas essen, Herrin?«
Das Kopfschütteln rief ein Stechen hinter ihren
Augen hervor. Luzia nahm neben den Mägden Platz und betrachtete, was
sie putzten. »Pastinaken? Wo kommen die her?«
Trine deutete durch das kleine Küchenfenster
neben der Hintertür. »Die Frauen von der Nachbarin fanden sie im
Garten. Der Turmwächter wird sie angesät haben. ‘s gibt ein
schönes Wurzelgemüse.«
»Was suchte denn der alte Mann in Frau Mechthilds
Garten?«
Die Mägde steckten den Kopf zusammen und
kicherten, bis Trine Luzia aufklärte. »Herrin, Frau Mechthild hat
uns heute fünf Mädchen geschickt, die unseren Garten auf den Winter
vorbereiten sollen. Sie schneiden die Kräuter herunter und jäten
die Beete. Das wurde lange nicht gemacht, nur der Turmwärter hatte
ein Eckchen für seinen Bedarf angelegt. Seit er nach Marburg
zurückgekehrt ist, kümmerte sich niemand mehr darum.«
So langsam wirkte der Kaffee, Luzia erinnerte
sich. »Ach ja, Jungfer Magdalene sagte es, und dass wir die Türen
geschlossen halten sollen. Sind die Weiber so arg?«
Eine der Mägde, Rosa aus Afföllerbach, senkte
den Kopf tief über den Tisch und murmelte in sich hinein.
»Was sagst du, Rosa?«, rief Trine laut.
Rosa lief knallrot an, hob aber ihren Blick zu der
Kammerfrau und sprach nun deutlicher. »Jede kann in diese Lage
kommen. So manche wird nicht fähig sein, sich eines Mannsbilds zu
erwehren, andere werden verleugnet oder vom Unglück heimgesucht. Da
will ich nicht den Stab brechen über die Frauen dort draußen.«
Neben ihr Martha, eine der Mägde aus Marburg,
nickte. »So geschah es jüngst einer Buchbinderstochter. Ihr
Verlobter nahm zum Abschied, bevor er ins Feld ging, was sie nicht
freiwillig hergeben wollte. Als die Folgen unübersehbar wurden, ging
sie zu Frau Mechthild.«
Zustimmendes Schweigen folgte. Luzia trank einen
großen Schluck Kaffee und stellte die Tasse zwischen die Wurzeln ab.
»Also tut die Nachbarin ihren Schutzbefohlenen Unrecht, wenn sie
alle als Huren bezeichnet?«
»Sicherlich.« Diesmal war es Trine, deren Wangen
sich röteten. »Nicht jeder besitzt die Mittel, eine Feierlichkeit
zu bezahlen. Es darf zwar nicht mehr sein, dass man ein Jawort ohne
Pfarrer gibt, aber gerade auf dem Land wird oft noch die Ehe im
Winkel geschlossen … so wie ich es mit dem Meinen tat, bevor er …
Wir leben in Kriegszeiten – oft ist da der Bräutigam über alle
Berge und das arme Mädchen kann nicht nachweisen, sich im guten
Glauben hingegeben zu haben.«
»Oder es wird ihr tatsächlich Gewalt angetan«,
stimmte Rosa zu.
Nachdenklich nickte Luzia. Wie bemerkenswert, dass
sie nicht eine Sekunde an der Meinung der Nachbarin gezweifelt hatte!
Nun, so ganz stimmte das nicht. Luzia waren schon Ungereimtheiten
aufgefallen,
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