Die Huren des Apothekers
aber wie ein Naturgesetz hatte sie angenommen, eine
Frau, die nicht von ihrer Familie aufgenommen wurde, wenn ihre Zeit
kam, müsse zwangsläufig der Sünde anheimgefallen sein. Seltsam,
dass sie so willfährig die Moral ihrer neuen Familie übernahm, wo
sie doch vor noch nicht einmal einem Jahr selbst außerhalb des
Gesetzes gestanden hatte.
»Wie lange arbeiten sie denn schon da draußen?«,
fragte sie.
»Seit Sonnenaufgang.«
»Ununterbrochen?«
Ihr Blick traf den Trines, die sich mit betretenem
Gesichtsausdruck erhob. »Mädchen, macht den Tisch frei. Unsere
fleißigen Helferinnen sollen sich zum Mittag setzen können.«
Einem Augenblick verblüfften Schweigens folgte
hektische Betriebsamkeit. Als ob sie sich abgesprochen hätten,
packte eine die Wurzeln in einen Korb, die andere fegte die Schalen
in den Müll, Trine wischte den Tisch sauber und auf jeden Fleck, den
sie anschließend mit einem Tuch abtrocknete, stellte Rosa Brot,
Speck und Käse hin, die Nesse ihr bereitwillig aus der Speisekammer
zuteilte. Geschäftig rührte sie in der Grütze auf dem Tisch, die
eigentlich, dem Anteil an Schmalz nach, dem neuen Kutscher zugedacht
war, und verteilte sie in Schalen. Rosa blickte zufrieden über den
Tisch und schickte Henne, das jüngste Mädchen hinaus, die
Gärtnerinnen zu rufen. Sie ließen sich nicht lange bitten und nur
Augenblicke später standen fünf junge Frauen mit lehmigen Füßen
und bis zu den Achseln mit Erde beschmierten Armen vor der Hintertür,
alle hochschwanger. Nesse schluckte sichtlich und baute sich vor der
Tür ihres Refugiums auf. Sie deutete auf den Brunnen dicht vor dem
Haus und nach einem sehnsüchtigen Blick auf den gedeckten Tisch
machten die Frauen sich daran, den gröbsten Dreck abzuwaschen.
Trotzdem erschienen sie mit schwarzen Fingernägeln und stürzten
sich auf die dargebotenen Köstlichkeiten. Lediglich eine von ihnen
mit pechschwarzem Haar, das unter ihrer Haube hervorquoll, brauchte
länger, griff aber als einzige mit sauberen Händen nach dem Brot.
Luzia hielt sich im Hintergrund und schaute
schmunzelnd zu, wie die jungen Frauen Becher mit Buttermilch
herunterstürzten und die Grütze hineinlöffelten. Wieder fiel ihr
die Schwarzhaarige auf, die sich zurückhielt und nicht so große
Brocken in sich hineinschlang, obwohl auch ihr der Hunger in den
Augen stand. Kurz trafen sich ihre Blicke und Luzia fiel es schwer
wegzusehen, denn die tiefblauen Augen besaßen eine merkwürdige
Anziehungskraft. Von allen fünfen war diese die hübscheste, bewegte
sich elegant und dankte als erste.
Jede einzelne von ihnen trug ein zufriedenes
Lächeln auf dem Gesicht. Nachdem die erste sich gesättigt
zurücklehnte, schenkte Nesse ein letztes Mal Buttermilch aus und
setzte sich zu den Frauen an den Tisch.
»Vergaß Frau Mechthild über die Gärtnerei euer
Mittagsmahl?«
Als ob ihnen das Lächeln aus dem Gesicht fiel,
zogen die jungen Frauen die Schultern hoch und starrten nach unten.
Erdrückendes Schweigen stand auf einmal im Raum. Die Mägde, die
geschäftig in der Küche herumgewerkelt hatten, hielten inne und
drehten sich um, Trine stemmte die Hände in die Hüften und beugte
sich vor. »Sagt nur, ihr kamt vor dem Frühstück!«
Die Schwangeren schienen in sich zusammenzusinken,
lediglich die Schwarzhaarige straffte die Schultern, aber auch sie
sah nicht hoch. »Frühstück gibt es zwei Stunden nach
Sonnenaufgang.«
»Dann wird euch Frau Mechthild sicher bald zum
Mittag rufen?«, fragte Luzia.
Die gleiche schüttelte den Kopf und schaute kurz
zu Luzia. »Wir sollen bis zum Sonnenuntergang hier arbeiten. Auf die
Felder bringt jemand eine Mahlzeit, aber dies hier geschah
unvorbereitet, sodass niemand uns nachkommt.«
Empört blieb Luzia der Mund offen stehen, bis sie
sich selbst zur Ordnung rief. »Aber gerade in der gesegneten Zeit
ist es doch wichtig, regelmäßig zu essen!«
»Es war eine Ausnahme«, sagte die Schwarzhaarige
und diesmal schaute sie Luzia in die Augen. »Sonst bekommen wir
unsere Mahlzeiten. Natürlich vermag die gute Frau Mechthild nicht,
uns solche Leckerbissen zu bescheren wie diese hier, wofür wir uns
recht herzlich bedanken, aber jede von uns wird satt.«
Das Blitzen der blauen Augen sagte etwas ganz
anderes als die vollen Lippen. Im Anschluss an ihre Worte biss sie
die Kiefer so fest zusammen, dass eine harte Linie in ihre Wangen
trat. Noch deutlicher hätte sie nicht zeigen können, dass sie log.
Dazu passte auch, dass die anderen den Eindruck machten,
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