Die Huren des Apothekers
nachvollziehen als sonst jemand. »Magdalene«,
sagte Luzia leise, »wenn du jetzt Elße anbietest, bei uns
unterzukommen, machst du dir Frau Mechthild zur Feindin.«
Magdalene räusperte sich, dann nickte sie. »Da
hast du recht, Schwägerin. Trotzdem möchte ich Elße und auch jedem
anderen der bedauernswerten Mädchen zusichern, dass sie jederzeit
eine Mahlzeit bei uns bekommen können.«
Kurz überschlug Luzia im Kopf die Einträge im
Haushaltsbuch, dann stimmte sie zu. Trine wirtschaftete so, dass
jederzeit eine Gesellschaft stattfinden konnte – was Lukas auch
schon oft in Anspruch genommen hatte. Unvermittelt lud er Professoren
mit ihrem Anhang ein und vergaß es im nächsten Augenblick. So
standen die Kollegen überraschend vor der Tür und mussten bewirtet
werden. Seit dem dritten Mal unterstützte Luzia Magdalene bei der
Zusammenstellung eines Weinkellers und einer reichen Speisekammer.
Ihre Pläne schlossen das Gesindehaus ein, in welches sie ein
dienstbares Ehepaar setzen wollte, das im dazugehörigen Garten
Federvieh und ein Schwein halten könnte, welches sich im Wald mit
Eicheln mästete. Dann wäre überraschender Besuch kein Problem
mehr.
Diese Mädchen waren mit Grütze und altbackenem
Brot zufrieden, also nickte selbst Trine mit einem Lächeln.
»Wenn es die Nachbarin nicht erfährt«,
schränkte Luzia ein.
Elße beeilte sich, dankbar zu knicksen.
»Selbstverständlich«, bestätigte sie. »Habt Dank, Ihr Damen.«
Luzia überkreuzte die Arme vor der Brust und
spürte, wie ihr Zorn langsam abflachte. »Für einen der Teller, auf
denen wir gestern aßen, könnte jedes der Mädchen für ein Jahr
verköstigt werden.«
»Auch wenn alle goldenen Kelche zu Korn gemacht
würden, sie könnten nicht die hungrigen Mäuler der Welt sättigen.«
Elße sprach mit niedergeschlagenem Blick und leise, aber ihre Worte
berührten etwas in Luzia, das sie nicht bestimmen konnte. Hatte denn
nicht auch sie einen Weg gewählt, der ihren eigenen Magen füllte,
nicht aber die Bäuche der Hungernden? Durch ihre Heirat mit einem
Edelmann wählte sie ein Leben ohne Mühsal und Belastungen, nur
verantwortlich für ihr eigenes Wohl und das ihres Gatten. Doch auch,
als sie noch selbst für ihren Lebensunterhalt verantwortlich war,
hielt sich ihre Wohltätigkeit in Grenzen. Sicher, sie hatte nie
einem Armen geschadet, immer nur von den Reichen genommen, denen es
kaum auffiel, wenn etwas fehlte, aber dass sie wie der Heilige Martin
ihren letzten Mantel geteilt hätte, das war nie vorgekommen.
Nur eines konnte sie nicht ausstehen:
Scheinheiligkeit. Wie ließ sich die Frau Nachbarin feiern ob ihrer
Barmherzigkeit und ihrer Güte, dabei schufteten die ihr anvertrauten
Mädchen schwer und hungerten dabei!
Gerade wollte Luzia ihren Mund auftun und
schimpfen, da wurde sie von Gerumpel und lauten Rufen unterbrochen.
Eines der Fenster in der Bibliothek stand offen und von draußen
schallten Geräusche herein. Elße war wohl nicht bereit, weitere
Einzelheiten über ihren Aufenthalt bei Frau Mechthild zu verraten,
denn als der Lärm die Aufmerksamkeit ihrer Gastgeberin ablenkte,
knickste sie tief und zog sich zurück.
Kurz wollte Luzia ihren Unmut darüber äußern,
aber dann zog sie das Geschehen vor dem Fenster in seinen Bann. Von
hier aus sah man die Flanke des Nachbarhauses, an dem vorbei etliche
Karren quollen. Anscheinend sammelten sich an der Front so viele
Wagen, dass es keinen Platz mehr dafür gab. Verwegene Gestalten
tummelten sich auf den abgedeckten Ladeflächen, hüpften wie Gämsen
darauf herum oder zeterten dicht neben den Rädern. Über das
Sammelsurium der verschiedensten Erscheinungen konnte sie nur staunen
– selbst eine Theatertruppe bekam nicht so viele Charakterköpfe
zusammen. Inständig wünschte sie sich Lukas‘
Vergrößerungsinstrument herbei, denn aus dieser Entfernung erkannte
sie kaum Einzelheiten. Dort sprang ein Kerl mit mächtigem
Schnauzbart und den weiten Hosen eines Ungarn vom Bock eines
schwerfälligen Ochsenkarrens, daneben tänzelte ein zartgliedriges
Reitpferd unter seinem mit einer Brustplatte geschützten
muselmanischen Reiter mit spitzem Helm, umhüllt mit einem Turban.
Die Räder eines breiten Planwagens sackten in Frau Mechthilds
Rosenbeete und der schwere Gaul davor knusperte unverzüglich an der
sorgfältig getrimmten Hecke.
»Das muss die Karawane sein, die der Apotheker
gestern ankündigte.« Magdalene hatte ihren Sitz verlassen und stand
jetzt neben Luzia am Fenster. Sie
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