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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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vorbei.
    Mit fest zugekniffenen Augen und lautlos den
Rosenkranz betend drückte Elße sich an die Wand, während sie
Mechthilds Gang durch das Haus mit ihrem Gehör verfolgte: ein
Rappeln an der Eingangstür, energische Schritte auf der Treppe, an
den Schlafsälen vorbei, hallend durch den langen Gang und endlich
das Klappern der Schlüssel in der Tür zum Anbau. Noch einmal ruckte
das Schloss, Mechthild verriegelte es hinter sich. Und dann hörte
Elße nichts mehr aus dem Haus. Alles, was im Anbau geschah,
verschluckten die dicken Bohlen dieser Tür.
    Noch immer wagte Elße nicht, sich zu rühren, und
noch immer pochte ihr Herz bis zum Hals. Nur allmählich öffneten
sich ihre verkrampften Hände, die Muskeln verloren ihre hölzerne
Steifheit. Sie schickte ein Stoßgebet an die Heilige Margareta, die
Schutzpatronin der Schwangeren und Gebärenden, und fühlte ihre Knie
so zittern, dass sie dazu am liebsten niedergesunken wäre. Nein, auf
gar keinen Fall. So dankbar sie der Nothelferin auch war, sie durfte
sich nicht mehr länger hier aufhalten. Ihre Verehrung sollte sich
nicht in einem Gebet ausdrücken, sondern darin, dass sie Hilfe für
Jonata besorgte, die vielleicht gerade jetzt genauso litt wie die
Märtyrerin.
    Ihre Schritte trugen sie zu der Eingangstür, vor
der gerade eben noch Mechthild gestanden hatte. Mit fliegenden
Fingern nestelte sie an den Riegeln, die massiv aus Eisen geschmiedet
die dicken Balken der Tür verstärkten und unangreifbar
verschlossen. Nur leises Klacken begleitete Elßes Bemühungen, die
Riegel glitten ohne Widerstand zurück.
    Erst als Elße auf der Eingangstreppe stand, wurde
ihr bewusst, was sie eigentlich tat. Sie trug keine Schuhe, nur ein
dünnes Unterkleid, und in wenigen Tagen würde sich der erste Frost
auf die Spitzen des gefallenen Laubes setzen. Sie fror erbärmlich.
Und Jonata? Wie sehr würde sie jetzt frieren?
    Elße schlang den dünnen Stoff so dicht wie
möglich um sich herum und eilte in Richtung des Friedhofs. Wenn sie
Glück hatte, wartete der Mann dort. Er konnte helfen, nur er, sonst
niemand.
    ---
    Wie ein gefrorenes Hemd schlug die Kälte Luzia
ins Gesicht, als sie das nächste Regal umrundete. Sofort zog sie
sich zurück, aber nicht nur, weil sie zitterte wie ein nasser Hund,
sondern um den Anblick zu verdauen, der sich ihr bot. Scheiterhaufen,
zuckte ihr durch die Gedanken, aber nein, das war es nicht. Eine Frau
stand nackt und hilflos gefesselt mitten im Raum, aber nicht umgeben
von Feuerholz, sondern von … was? Noch einmal lugte Luzia um die
Ecke, diesmal geduckt und übervorsichtig. Wasser. Die Hochschwangere
stand inmitten von Wasser auf einer Brücke aus grauen Brettern, die
über einen Teich führte. Nur ihre bloßen Füße berührten das
Holz, ihre Arme waren in von der Decke hängende Seile gespannt.
Grobes Hanf umschlang ihre Handgelenke und zwang sie, die Arme zu
spreizen in einer Haltung, die sie wie gekreuzigt aussehen ließ.
Verzweiflung spiegelte sich in ihrem von braunen Locken umrahmten
Gesicht, Tränen liefen die zarten Wangen herunter, aber sie muckste
sich nicht. Der Grund dafür mochte das Rutenbündel sein, das auf
der Brücke neben ihr lag. Striemen auf ihren Oberschenkeln
bezeugten, dass sie schon in nähere Bekanntschaft damit gekommen
war. Luzia erinnerte sich an das Klatschen, bevor das Jammern
verstummt war.
    Eine Bewegung am Rand ihres Gesichtsfelds riss sie
aus ihrem Starren. Sie veränderte ihre Position, um auch die andere
Seite des durch Regale abgeteilten Raumes zu überblicken. Der
Apotheker stand an einem Pult, in ein Schriftstück vertieft, auf dem
er mit einer schwarzen Feder Anmerkungen machte.
    Luzia schauerte, diesmal nicht wegen der vom
Wasser aufsteigenden Kälte, sondern wegen der gleichgültigen Miene,
die Henslin angesichts der hilflosen Frau machte. Er beachtete sie
überhaupt nicht. Seine Augen folgten so konzentriert dem Text, dass
Luzia wagte, sich noch ein wenig weiter vorzubeugen.
    Jetzt erst gelang es Luzia, den gesamten Raum zu
erfassen. Dieses Gewölbe besaß die Ausmaße einer Kathedrale und
der Teich darin genügte, dem gesamten Kirchenchor als Taufbecken zu
dienen. Doch statt der Statuen von Heiligen wachten hier Mumien,
statt eines Heilands kreuzigte der Apotheker eine Schwangere. Ohne
sich dessen bewusst zu sein, begannen Luzias Lippen das Vaterunser zu
beten, sie merkte es erst, als sie schon fast fertig war. Schwarze
Magie, die Ähnlichkeit zu einem Kirchenraum – es fehlte nicht viel
zu einer

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