Die Huren des Apothekers
Leichen
Unbestatteter.
Die Gedanken rasten hinter Luzias Stirn. Wessen
Leichen? Sie sah den Friedhof hinter dem Anbau vor sich. Wagten es
diese Unmenschen etwa, die unglücklichen Leiber der im Kindbett
Verstorbenen zu trockenen und zu Pulver zu zerreiben, um es
unwissenden Kranken löffelweise einzugeben? Übelkeit stieg in ihr
hoch, wenn sie sich das vorstellte. Würde auch nur einer der
Patienten in einen frisch abgetrennten Arm beißen? Was sagte die
Obrigkeit dazu? Kannibalismus, der Verzehr von Menschenfleisch galt
als eine der schrecklichsten Sünden, derer man sich schuldig machen
konnte. Die verkommensten Wilden frönten diesem Genuss, bevor ein
Christenmensch sie missionierte. Einem Seemann bedeutete das
entsetzlichste Erlebnis der Schiffbruch auf hoher See, bei dem für
das nackte Überleben einer der Mannschaft geopfert wurde, um den
Hunger der anderen zu stillen. So mancher Gottesmann weigerte sich,
solchen Matrosen die Absolution nach der Beichte zu gewähren, schlug
sie in Kirchenbann und ächtete sie. War es nicht sogar der Heilige
Nikolaus, dessen Glorifizierung durch die Missionierung der
Menschenfresser des Balkans begründet wurde, durch dessen Vorbild
diese üble Sitte endgültig in diesem Teil der Welt ausgerottet
wurde?
Luzia atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Der
sanfte Duft der Mumie auf dem Tisch stieg ihr dabei in die Nase. Bei
dieser glaubte sie ohne Weiteres, dass es sich um einen
altertümlichen Pharao handelte. Solche nahm Henslin sich als Vorbild
und missbrauchte die Leiber Unschuldiger dafür, ruchlos Gewinn zu
machen.
Um sich selbst von dieser unbeschreiblichen
Situation abzulenken, grübelte sie über die Nikolauslegende, die
Magdalene ihr aus ihrem Lieblingsbuch oft genug vorgelesen hatte. Ein
Herbergswirt hatte aus Habgier drei wandernde Studenten ermordet und
zur Vertuschung seines Verbrechens die Leichen zerstückelt. Die
Teile legte er wie Schweineschinken in ein Pökelfass. Der Heilige
Nikolaus, Bischof von Myra, erfuhr durch einen Engel von der Untat,
klagte den Wirt an und setzte die Teile der Studenten wieder
zusammen. Durch ein Wunder begannen sie wieder zu leben. An dieser
Stelle hatte Lukas immer die Nase gerümpft, denn wenn Gepökeltes
wieder zum Leben erwachen könne, wer würde da noch mit Appetit in
sein Schinkenbrot beißen wollen? Genüsslich zog ein Lächeln über
Luzias Gesicht ob der Kleingläubigkeit ihres geliebten Gemahls, dann
dachte sie wieder an die vertrockneten Leichen. Auch diese würde nur
ein Wunder zurück zum Leben bringen, doch darauf müsste sie
vergeblich warten. Heilige gab es nicht mehr, diese Zeiten waren
vorbei. Aber solche Verbrecher wie den Herbergswirt aus Myra gab es
sehr wohl noch, wie sie vor ihrer Nasenspitze sah. Denn großen
Unterschied sah sie nicht, ob die Leichenteile als Schweinefleisch
einem arglosen Reisenden angeboten wurden oder als getrocknete Mumie
einem bedürftigen Kranken.
Das Schlagen der Tür riss Luzia aus ihren
Überlegungen. Wer kam denn jetzt noch? Durfte die arme Frau endlich
Hilfe erwarten? Gespannt lauschte Luzia auf die näherkommenden
Schritte.
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Diesmal umrundete Frank das Haus der Apothekerin
von der anderen Seite, sodass er gleich auf den verwahrlosten
Gottesacker kam. So elend wie das Leben der unglückseligen Mütter,
so sah auch ihre letzte Ruhestätte aus. Niemand gedachte ihrer am
Grab, nicht einmal das Unkraut jätete ein Lebender. Ohne darüber
nachzudenken, suchte Frank für seine Stiefel Steine und
festgetretene Erde, worauf er keine Fußspuren hinterließ. Pietät
oder Unrechtsbewusstsein? Er zuckte die Achseln. Wer schritt schon
gerne über die Ruhestätten derer, die ohne Trost in den Tod
gegangen waren? Frank dachte an die vielen Ungerechten, deren
namenlose Gräber unter seiner Arbeitsstätte lagen, die Knochen
verstreut, nachdem das Fleisch von wilden Tieren abgerissen, von
Maden zernagt war. Denen gehörte es nicht anders, niemand sollte an
Gedenkstätten ihre Untaten verklären, zu Heldentaten erheben. Frank
erinnerte sich an die Augen Todgeweihter, die aufblitzten in der
Gewissheit, auf dem Richtplatz als Märtyrer gefeiert zu werden, um
mit Triumph jene zu betrachten, die tatsächlich jubilierten. Gleich
danach trübten sich diese Augen in Hoffnungslosigkeit, wenn sie
erkannten, dass der Jubel ihrem bevorstehenden Tod galt, nicht ihrem
verdorbenen Leben und ihren vollbrachten Untaten. Und dann Jene,
denen auch das Buhen des Volkes nicht die Einsicht brachte, welche
bis
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