Die Huren des Apothekers
Hektisch blickte sie sich nach einem Gegenstand um, mit dem
sie dem Unhold von hinten über den Kopf schlagen könnte. Nein, sie
musste sich beherrschen. Von der Frau dort konnte sie keine
selbstverständliche Dankbarkeit erwarten. Sie würde schreien und
die Helfershelfer des Hausherrn herbeirufen. Selbst wenn der Streich
gelang, würde sie Luzia verraten, als Einbrecherin bloßstellen.
Wut schlug um in Mutlosigkeit. Wenn es Luzia nicht
gelang, den Kerl mit einem Schlag hinterrücks bewusstlos zu
schlagen, wenn er sich umdrehte und sie angriff, dann hatte sie keine
Chance und würde kurz darauf selbst in Fesseln an einem Balken
hängen. Ein Schluchzen würgte in Luzias Hals, das sie mit
Anstrengung unterdrückte. Was sollte sie nur tun? Noch bevor sie zu
einer Entscheidung kam, hörte sie hinter sich die Tür klappen und
Schritte näherten sich. Von welcher Seite würde der Ankömmling auf
sie treffen? Hektisch sah sie sich nach einem Schlupfloch um, aber
solange sie nicht wusste, von wo der Besucher auf sie traf, würde
sie nur mit ihrer Bewegung Aufmerksamkeit erwecken. Luzias Herz
begann zu rasen. Ihr Blick fiel auf den Mumienkasten. Die Schritte
näherten sich. An seinem Pult richtete der Apotheker sich auf und
hob den Kopf. Kurzentschlossen huschte Luzia die wenigen Schritte
rückwärts und schlüpfte hinter die Klappe des Behälters.
Erleichterung durchflutete sie. Sofort überkam sie das Gefühl der
Geborgenheit, als die gleichen Düfte sie umgaben, die auch aus der
Mumie strömten.
Keinen Augenblick zu früh hatte sie sich
versteckt, denn durch einen Riss im Holz des Deckels sah sie gleich
darauf die Apothekerin in ihr Sichtfeld treten – genau aus der
Richtung, in die Luzia ursprünglich hatte fliehen wollen.
»Du hast noch nicht mit den Bandagen begonnen?«,
fragte die Frau in tadelndem Ton. Bemerkte sie denn nicht die nackte
Schwangere auf der Brücke? Luzia neigte den Kopf, um Mechthild
besser zu sehen. Sie stand direkt vor der Mumie, dort, wo vor wenigen
Augenblicken noch Luzia gehockt hatte, und schaute zum Apotheker
herüber. Unmöglich, dass sie die Gefesselte nicht sah.
»Ich fand einige schlüssige Hinweise zur
Mumifizierung in Hassans Buch. Der Autor beschreibt Räucherungen mit
Salbei.«
»Was dir ja sehr entgegenkäme. Salbei ist
billig, wächst auf den Wiesen am Hang. Ich werde im Frühsommer
Mädchen zum Pflücken hinschicken.«
Henslin wiegte bedächtig den Kopf. »Dort finden
sie wilden Salbei, ich befürchte allerdings, wir benötigen den
spitzen Arzneisalbei, echten Salvia, hitzig und trocken, wie er zum
Räuchern sein muss. Diesen sollten wir im Garten kultivieren.«
»Ach, schon wieder dein Traum vom Kräutergarten!
Die Weiber stellen sich doch viel zu dumm an für solch feinsinnige
Arbeit! Wenn sie Unkraut zwischen den Rüben hacken sollen,
überfordert sie das schon. Ich sage es dir gleich: Mit Heilkräutern
wirst du keine Freude haben.«
So unterhielten sie sich laut über Nichtigkeiten,
die Luzia fast aus der Haut fahren ließen. Bekümmerte die
Apothekerin denn überhaupt nicht, dass ihr Mann eine junge Frau
nackt festgebunden hatte? Am liebsten wäre Luzia mit einem Knüppel
dazwischengefahren, aber weder gab es einen Knüppel in Reichweite
noch traute sie sich, nun gegen zwei Unholde zu kämpfen. Zu allem
Überfluss meldete sich auch noch ihre Blase, die sich in ihrem
Zustand allzu empfindsam aufführte. Die Enge des Mumienkastens tat
Luzias Nervosität keinen Gefallen, denn bei jeder Bewegung berührte
sie das spröde Holz und stach sich an Splittern. Es blieb nichts
anderes, als regungslos darin stehen zu bleiben, bis Luzia sich
selbst wie eine Mumie fühlte.
Wann war das saubere Hexenehepaar endlich damit
fertig, über die günstigste Herstellung von Mumien zu diskutieren?
Luzia biss sich auf die Lippen, um nicht entnervt aufzustöhnen.
Halt, was redeten sie? Herstellung? Wieso dies? Auf einmal lauschte
Luzia atemlos. Die aufgestapelten Leiber in den Kammern des
Labyrinths – waren das etwa keine Pharaonen? Nein, der Apotheker
betonte es mehrere Male stolz: Er selbst stellte diese Mumien her.
Wie Schuppen fiel es Luzia von den Augen. All die
verschiedenen Haarfarben, die Frisuren, das bedeutete nicht, dass in
der Vorzeit die Menschen Ägyptens sich dadurch von denen des
heutigen Orients unterschieden, es bewies lediglich, dass es sich um
die Körper Einheimischer handelte. Keine uralten Pharaonen mit dem
Geheimnis der Unsterblichkeit, sondern vertrocknete
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