Die Huren des Apothekers
eine solche jede Woche statt, wenn der Apotheker hier übernachtete? Luzia schlang ihre Arme dicht um sich, um das Zittern ihrer Hände zu beherrschen. Kurz schwindelte es ihr und sie verlor die Orientierung. Woher war sie gekommen? Ein Blick zurück zeigte ihr den Weg und sie beruhigte sich. Sie konnte die Frau dort nicht ihrem Schicksal überlassen, sie musste einen Weg finden, ihr zu helfen.
Auch hier gab es die halbhohen Trennwände mit den vielen Durchgängen. Sie konnte an dem Apotheker vorbei in eine der Nischen sehen, in welcher der Sarkophag der Mumie stand, der Luzias Aufmerksamkeit unter anderen Umständen gefesselt hätte. Selbst jetzt verweilte ihr Blick länger als nötig auf dem Kasten, dessen Bemalung ihr in kräftigen Farben entgegenleuchtete. Auf halbem Weg zwischen Sarg und Apotheker befand sich ein Tisch, auf dem eine helle Gestalt lag. Nach einem weiteren Blick auf den Apotheker huschte Luzia um die Trennwand herum, um vielleicht durch eine andere Lücke des Labyrinths einen besseren Blick zu erhaschen. An drei Zimmern mit Bündeln von Lumpen, zerbrochenen Möbeln, vollen oder leeren Kisten und Körben und an einem Haufen bleicher Knochen vorbei fand sie einen Durchschlupf zum Mumienkasten. Von hier aus sah sie den Apotheker von hinten, was ihr ein wesentlich besseres Gefühl gab, und erkannte genau, worum es sich bei der Gestalt auf dem Tisch handelte: ein Mensch, dicht eingewickelt in graue Leinenbinden. Ihr Blick huschte zu einem der Bündel in dem Raum, den sie gerade durchquert hatte. Genau solche Bandagen steckten dort in einem Kasten, wirr zusammengeknüllt.
Der Mensch lag regungslos mit lang ausgestreckten Beinen und über der Brust gekreuzten Armen. Eindeutig tot. Dies also war wohl die Mumie aus Ägypten. Genauso hatte Luzia sie sich vorgestellt, mit Sorgfalt und Ehrfurcht behandelt, nicht in die Ecke geworfen wie ein Stück Müll. Der Luftzug trug aromatische Gerüche zu Luzia, eindeutig ausgehend von dem Toten.
Ein leises Stöhnen lenkte Luzia ab. Die Frau scharrte mit den Füßen auf dem Bretterboden. Vergeblich drehte sie die Schenkel, damit ihr weit vorgewölbter Leib eine bequemere Position erlangte. Unwillig warf Henslin die Feder auf den Boden, wobei sie eine Spur schwarzer Spritzer auf den Planken hinterließ, dann stemmte er die Fäuste in die Hüften und brüllte die Frau mit überschlagender Stimme an. Er kreischte so unbeherrscht, dass Luzia kaum eine Silbe verstand, bis er sich etwas beruhigte. Er ging auf die Frau zu, umrundete sie und sprach etwas besonnener. So vermochte Luzia Sinn in seine Worte zu bringen, selbst wenn er ihr den Rücken zukehrte und der Frau seine Schmähungen ins Gesicht spie.
»Nichts vermagst du, eine elende Hure, die wie eine Made im Speck das Vermögen meiner Frau auffrisst, nur frisst und frisst, bis sie platzt und aus ihrem Leib ein neuer Wurm quillt, der auch nur wieder fressen kann. Dankbar solltest du sein, dass dein minderwertiges Dasein und die verkommene Frucht deines Leibes einem höheren Zweck dienen werden! Der winzige Funke deines Verstandes erkennt noch nicht einmal, wie wichtig meine Erkenntnisse sind, wie bahnbrechend mein Beitrag zur Wissenschaft das Wohlergehen der Reichen und Mächtigen verändert. Meine Arznei ermöglicht Königen und Kardinälen, Kaisern und Päpsten ihre Wohltaten dem Pöbel bis ins Greisenalter hinein anzugedeihen, ohne dass Gliederreißen und Schwachsinn ihrer Weisheit Abbruch tun. Begreifst du, was es bedeutet, wenn ein einzelner Herrscher über Generationen hinweg regiert? Unangefochten durch Krankheit und Altersbeschwerden baut er seine Macht aus, verwirklicht all seine Pläne ohne Rücksicht auf Erbschleicher und undankbare Nachkommen. Weißt du überhaupt, was mir die Mächtigen dafür zahlen werden? Nein, nicht Geld allein, sondern sie werden mich belohnen mit allem, was ich begehre: Macht, Diener, sogar Sklaven, mit denen ich machen kann, was immer mich gelüstet, ohne Heimlichkeit. Ein Mann mit meinen Fähigkeiten hat es nicht nötig, sich zu verstecken. Bald, bald ist es soweit!«
Was, bei allen Heiligen, besaß dieser Verbrecher so Großartiges, dass er solche Reden schwang? Lukas wusste um mehr Geheimnisse als die allermeisten Menschen, sogar um ein Bedeutendes mehr als seine hochgelehrten Kollegen an der Universität, trotzdem würde er nie mit solcher Herablassung eine schutzbedürftige Frau quälen. Empörung brodelte in Luzia, bis sie kaum noch stillhalten konnte. Hektisch blickte sie
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