Die Huren des Apothekers
zugekniffenen Augen und lautlos den Rosenkranz betend drückte Elße sich an die Wand, während sie Mechthilds Gang durch das Haus mit ihrem Gehör verfolgte: ein Rappeln an der Eingangstür, energische Schritte auf der Treppe, an den Schlafsälen vorbei, hallend durch den langen Gang und endlich das Klappern der Schlüssel in der Tür zum Anbau. Noch einmal ruckte das Schloss, Mechthild verriegelte es hinter sich. Und dann hörte Elße nichts mehr aus dem Haus. Alles, was im Anbau geschah, verschluckten die dicken Bohlen dieser Tür.
Noch immer wagte Elße nicht, sich zu rühren, und noch immer pochte ihr Herz bis zum Hals. Nur allmählich öffneten sich ihre verkrampften Hände, die Muskeln verloren ihre hölzerne Steifheit. Sie schickte ein Stoßgebet an die Heilige Margareta, die Schutzpatronin der Schwangeren und Gebärenden, und fühlte ihre Knie so zittern, dass sie dazu am liebsten niedergesunken wäre. Nein, auf gar keinen Fall. So dankbar sie der Nothelferin auch war, sie durfte sich nicht mehr länger hier aufhalten. Ihre Verehrung sollte sich nicht in einem Gebet ausdrücken, sondern darin, dass sie Hilfe für Jonata besorgte, die vielleicht gerade jetzt genauso litt wie die Märtyrerin.
Ihre Schritte trugen sie zu der Eingangstür, vor der gerade eben noch Mechthild gestanden hatte. Mit fliegenden Fingern nestelte sie an den Riegeln, die massiv aus Eisen geschmiedet die dicken Balken der Tür verstärkten und unangreifbar verschlossen. Nur leises Klacken begleitete Elßes Bemühungen, die Riegel glitten ohne Widerstand zurück.
Erst als Elße auf der Eingangstreppe stand, wurde ihr bewusst, was sie eigentlich tat. Sie trug keine Schuhe, nur ein dünnes Unterkleid, und in wenigen Tagen würde sich der erste Frost auf die Spitzen des gefallenen Laubes setzen. Sie fror erbärmlich. Und Jonata? Wie sehr würde sie jetzt frieren?
Elße schlang den dünnen Stoff so dicht wie möglich um sich herum und eilte in Richtung des Friedhofs. Wenn sie Glück hatte, wartete der Mann dort. Er konnte helfen, nur er, sonst niemand.
---
Wie ein gefrorenes Hemd schlug die Kälte Luzia ins Gesicht, als sie das nächste Regal umrundete. Sofort zog sie sich zurück, aber nicht nur, weil sie zitterte wie ein nasser Hund, sondern um den Anblick zu verdauen, der sich ihr bot. Scheiterhaufen, zuckte ihr durch die Gedanken, aber nein, das war es nicht. Eine Frau stand nackt und hilflos gefesselt mitten im Raum, aber nicht umgeben von Feuerholz, sondern von … was? Noch einmal lugte Luzia um die Ecke, diesmal geduckt und übervorsichtig. Wasser. Die Hochschwangere stand inmitten von Wasser auf einer Brücke aus grauen Brettern, die über einen Teich führte. Nur ihre bloßen Füße berührten das Holz, ihre Arme waren in von der Decke hängende Seile gespannt. Grobes Hanf umschlang ihre Handgelenke und zwang sie, die Arme zu spreizen in einer Haltung, die sie wie gekreuzigt aussehen ließ. Verzweiflung spiegelte sich in ihrem von braunen Locken umrahmten Gesicht, Tränen liefen die zarten Wangen herunter, aber sie muckste sich nicht. Der Grund dafür mochte das Rutenbündel sein, das auf der Brücke neben ihr lag. Striemen auf ihren Oberschenkeln bezeugten, dass sie schon in nähere Bekanntschaft damit gekommen war. Luzia erinnerte sich an das Klatschen, bevor das Jammern verstummt war.
Eine Bewegung am Rand ihres Gesichtsfelds riss sie aus ihrem Starren. Sie veränderte ihre Position, um auch die andere Seite des durch Regale abgeteilten Raumes zu überblicken. Der Apotheker stand an einem Pult, in ein Schriftstück vertieft, auf dem er mit einer schwarzen Feder Anmerkungen machte.
Luzia schauerte, diesmal nicht wegen der vom Wasser aufsteigenden Kälte, sondern wegen der gleichgültigen Miene, die Henslin angesichts der hilflosen Frau machte. Er beachtete sie überhaupt nicht. Seine Augen folgten so konzentriert dem Text, dass Luzia wagte, sich noch ein wenig weiter vorzubeugen.
Jetzt erst gelang es Luzia, den gesamten Raum zu erfassen. Dieses Gewölbe besaß die Ausmaße einer Kathedrale und der Teich darin genügte, dem gesamten Kirchenchor als Taufbecken zu dienen. Doch statt der Statuen von Heiligen wachten hier Mumien, statt eines Heilands kreuzigte der Apotheker eine Schwangere. Ohne sich dessen bewusst zu sein, begannen Luzias Lippen das Vaterunser zu beten, sie merkte es erst, als sie schon fast fertig war. Schwarze Magie, die Ähnlichkeit zu einem Kirchenraum – es fehlte nicht viel zu einer Satansmesse. Fand
Weitere Kostenlose Bücher