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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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Gedanken rasten hinter Luzias Stirn. Wessen Leichen? Sie sah den Friedhof hinter dem Anbau vor sich. Wagten es diese Unmenschen etwa, die unglücklichen Leiber der im Kindbett Verstorbenen zu trockenen und zu Pulver zu zerreiben, um es unwissenden Kranken löffelweise einzugeben? Übelkeit stieg in ihr hoch, wenn sie sich das vorstellte. Würde auch nur einer der Patienten in einen frisch abgetrennten Arm beißen? Was sagte die Obrigkeit dazu? Kannibalismus, der Verzehr von Menschenfleisch galt als eine der schrecklichsten Sünden, derer man sich schuldig machen konnte. Die verkommensten Wilden frönten diesem Genuss, bevor ein Christenmensch sie missionierte. Einem Seemann bedeutete das entsetzlichste Erlebnis der Schiffbruch auf hoher See, bei dem für das nackte Überleben einer der Mannschaft geopfert wurde, um den Hunger der anderen zu stillen. So mancher Gottesmann weigerte sich, solchen Matrosen die Absolution nach der Beichte zu gewähren, schlug sie in Kirchenbann und ächtete sie. War es nicht sogar der Heilige Nikolaus, dessen Glorifizierung durch die Missionierung der Menschenfresser des Balkans begründet wurde, durch dessen Vorbild diese üble Sitte endgültig in diesem Teil der Welt ausgerottet wurde?
    Luzia atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Der sanfte Duft der Mumie auf dem Tisch stieg ihr dabei in die Nase. Bei dieser glaubte sie ohne Weiteres, dass es sich um einen altertümlichen Pharao handelte. Solche nahm Henslin sich als Vorbild und missbrauchte die Leiber Unschuldiger dafür, ruchlos Gewinn zu machen.
    Um sich selbst von dieser unbeschreiblichen Situation abzulenken, grübelte sie über die Nikolauslegende, die Magdalene ihr aus ihrem Lieblingsbuch oft genug vorgelesen hatte. Ein Herbergswirt hatte aus Habgier drei wandernde Studenten ermordet und zur Vertuschung seines Verbrechens die Leichen zerstückelt. Die Teile legte er wie Schweineschinken in ein Pökelfass. Der Heilige Nikolaus, Bischof von Myra, erfuhr durch einen Engel von der Untat, klagte den Wirt an und setzte die Teile der Studenten wieder zusammen. Durch ein Wunder begannen sie wieder zu leben. An dieser Stelle hatte Lukas immer die Nase gerümpft, denn wenn Gepökeltes wieder zum Leben erwachen könne, wer würde da noch mit Appetit in sein Schinkenbrot beißen wollen? Genüsslich zog ein Lächeln über Luzias Gesicht ob der Kleingläubigkeit ihres geliebten Gemahls, dann dachte sie wieder an die vertrockneten Leichen. Auch diese würde nur ein Wunder zurück zum Leben bringen, doch darauf müsste sie vergeblich warten. Heilige gab es nicht mehr, diese Zeiten waren vorbei. Aber solche Verbrecher wie den Herbergswirt aus Myra gab es sehr wohl noch, wie sie vor ihrer Nasenspitze sah. Denn großen Unterschied sah sie nicht, ob die Leichenteile als Schweinefleisch einem arglosen Reisenden angeboten wurden oder als getrocknete Mumie einem bedürftigen Kranken.
    Das Schlagen der Tür riss Luzia aus ihren Überlegungen. Wer kam denn jetzt noch? Durfte die arme Frau endlich Hilfe erwarten? Gespannt lauschte Luzia auf die näherkommenden Schritte.
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    Diesmal umrundete Frank das Haus der Apothekerin von der anderen Seite, sodass er gleich auf den verwahrlosten Gottesacker kam. So elend wie das Leben der unglückseligen Mütter, so sah auch ihre letzte Ruhestätte aus. Niemand gedachte ihrer am Grab, nicht einmal das Unkraut jätete ein Lebender. Ohne darüber nachzudenken, suchte Frank für seine Stiefel Steine und festgetretene Erde, worauf er keine Fußspuren hinterließ. Pietät oder Unrechtsbewusstsein? Er zuckte die Achseln. Wer schritt schon gerne über die Ruhestätten derer, die ohne Trost in den Tod gegangen waren? Frank dachte an die vielen Ungerechten, deren namenlose Gräber unter seiner Arbeitsstätte lagen, die Knochen verstreut, nachdem das Fleisch von wilden Tieren abgerissen, von Maden zernagt war. Denen gehörte es nicht anders, niemand sollte an Gedenkstätten ihre Untaten verklären, zu Heldentaten erheben. Frank erinnerte sich an die Augen Todgeweihter, die aufblitzten in der Gewissheit, auf dem Richtplatz als Märtyrer gefeiert zu werden, um mit Triumph jene zu betrachten, die tatsächlich jubilierten. Gleich danach trübten sich diese Augen in Hoffnungslosigkeit, wenn sie erkannten, dass der Jubel ihrem bevorstehenden Tod galt, nicht ihrem verdorbenen Leben und ihren vollbrachten Untaten. Und dann Jene, denen auch das Buhen des Volkes nicht die Einsicht brachte, welche bis zuletzt ihre Verbrechen

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