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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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sich nach einem Gegenstand um, mit dem sie dem Unhold von hinten über den Kopf schlagen könnte. Nein, sie musste sich beherrschen. Von der Frau dort konnte sie keine selbstverständliche Dankbarkeit erwarten. Sie würde schreien und die Helfershelfer des Hausherrn herbeirufen. Selbst wenn der Streich gelang, würde sie Luzia verraten, als Einbrecherin bloßstellen.
    Wut schlug um in Mutlosigkeit. Wenn es Luzia nicht gelang, den Kerl mit einem Schlag hinterrücks bewusstlos zu schlagen, wenn er sich umdrehte und sie angriff, dann hatte sie keine Chance und würde kurz darauf selbst in Fesseln an einem Balken hängen. Ein Schluchzen würgte in Luzias Hals, das sie mit Anstrengung unterdrückte. Was sollte sie nur tun? Noch bevor sie zu einer Entscheidung kam, hörte sie hinter sich die Tür klappen und Schritte näherten sich. Von welcher Seite würde der Ankömmling auf sie treffen? Hektisch sah sie sich nach einem Schlupfloch um, aber solange sie nicht wusste, von wo der Besucher auf sie traf, würde sie nur mit ihrer Bewegung Aufmerksamkeit erwecken. Luzias Herz begann zu rasen. Ihr Blick fiel auf den Mumienkasten. Die Schritte näherten sich. An seinem Pult richtete der Apotheker sich auf und hob den Kopf. Kurzentschlossen huschte Luzia die wenigen Schritte rückwärts und schlüpfte hinter die Klappe des Behälters. Erleichterung durchflutete sie. Sofort überkam sie das Gefühl der Geborgenheit, als die gleichen Düfte sie umgaben, die auch aus der Mumie strömten.
    Keinen Augenblick zu früh hatte sie sich versteckt, denn durch einen Riss im Holz des Deckels sah sie gleich darauf die Apothekerin in ihr Sichtfeld treten – genau aus der Richtung, in die Luzia ursprünglich hatte fliehen wollen.
    »Du hast noch nicht mit den Bandagen begonnen?«, fragte die Frau in tadelndem Ton. Bemerkte sie denn nicht die nackte Schwangere auf der Brücke? Luzia neigte den Kopf, um Mechthild besser zu sehen. Sie stand direkt vor der Mumie, dort, wo vor wenigen Augenblicken noch Luzia gehockt hatte, und schaute zum Apotheker herüber. Unmöglich, dass sie die Gefesselte nicht sah.
    »Ich fand einige schlüssige Hinweise zur Mumifizierung in Hassans Buch. Der Autor beschreibt Räucherungen mit Salbei.«
    »Was dir ja sehr entgegenkäme. Salbei ist billig, wächst auf den Wiesen am Hang. Ich werde im Frühsommer Mädchen zum Pflücken hinschicken.«
    Henslin wiegte bedächtig den Kopf. »Dort finden sie wilden Salbei, ich befürchte allerdings, wir benötigen den spitzen Arzneisalbei, echten Salvia, hitzig und trocken, wie er zum Räuchern sein muss. Diesen sollten wir im Garten kultivieren.«
    »Ach, schon wieder dein Traum vom Kräutergarten! Die Weiber stellen sich doch viel zu dumm an für solch feinsinnige Arbeit! Wenn sie Unkraut zwischen den Rüben hacken sollen, überfordert sie das schon. Ich sage es dir gleich: Mit Heilkräutern wirst du keine Freude haben.«
    So unterhielten sie sich laut über Nichtigkeiten, die Luzia fast aus der Haut fahren ließen. Bekümmerte die Apothekerin denn überhaupt nicht, dass ihr Mann eine junge Frau nackt festgebunden hatte? Am liebsten wäre Luzia mit einem Knüppel dazwischengefahren, aber weder gab es einen Knüppel in Reichweite noch traute sie sich, nun gegen zwei Unholde zu kämpfen. Zu allem Überfluss meldete sich auch noch ihre Blase, die sich in ihrem Zustand allzu empfindsam aufführte. Die Enge des Mumienkastens tat Luzias Nervosität keinen Gefallen, denn bei jeder Bewegung berührte sie das spröde Holz und stach sich an Splittern. Es blieb nichts anderes, als regungslos darin stehen zu bleiben, bis Luzia sich selbst wie eine Mumie fühlte.
    Wann war das saubere Hexenehepaar endlich damit fertig, über die günstigste Herstellung von Mumien zu diskutieren? Luzia biss sich auf die Lippen, um nicht entnervt aufzustöhnen. Halt, was redeten sie? Herstellung? Wieso dies? Auf einmal lauschte Luzia atemlos. Die aufgestapelten Leiber in den Kammern des Labyrinths – waren das etwa keine Pharaonen? Nein, der Apotheker betonte es mehrere Male stolz: Er selbst stellte diese Mumien her.
    Wie Schuppen fiel es Luzia von den Augen. All die verschiedenen Haarfarben, die Frisuren, das bedeutete nicht, dass in der Vorzeit die Menschen Ägyptens sich dadurch von denen des heutigen Orients unterschieden, es bewies lediglich, dass es sich um die Körper Einheimischer handelte. Keine uralten Pharaonen mit dem Geheimnis der Unsterblichkeit, sondern vertrocknete Leichen Unbestatteter.
    Die

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