Die Hurenkönigin (German Edition)
Reitgerte schlug es aufgebracht auf die Hundewelpen ein.
Das Jaulen der Tiere ging der Hurenkönigin durch Mark und Bein. Dir müsste man selbst eins mit der Gerte überziehen! Empört sprang die Hurenkönigin auf und war schon drauf und dran, der Göre die Reitgerte zu entwenden, als von oben eine Frauenstimme ertönte: »Recht so, Gunilla, Hunde müssen erzogen werden!«
Ursel reckte sich und sah auf der Marmorbalustrade über dem Eingangsportal eine junge Frau mit engelhaften Gesichtszügen und wallenden blonden Haaren, der das Mädchen mit der Reitgerte wie aus dem Gesicht geschnitten war.
»Auch Kinder müssen erzogen werden! Man quält keine Tiere«, stieß Ursel hervor und blickte die Dame auf dem Balkon erzürnt an. In ihrer Empörung nahm sie billigend in Kauf, durch das Aufbegehren jegliche Möglichkeit einer Anstellung zunichtezumachen. Für einen flüchtigen Moment erstarrten die Augen der Frau zu Eiskristallen.
Ursel stockte der Atem. Das Mädchen auf dem Steg! Ihr Herz schlug so heftig, dass es in ihren Ohren dröhnte, und obgleich sie in ihrem Leben nie einem Kampf ausgewichen war, hätte sie am liebsten die Beine in die Hand genommen und wäre davongelaufen.
»Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass Sie eine Näherin ist und keine Gouvernante«, säuselte die Adelsdame spöttisch. Ursel mochte ihren Ohren nicht trauen, als die Freifrau sie gleich darauf mit der Bemerkung, sie wäre dann so weit, ins Haus beorderte.
Mit weichen Knien und trockener Kehle betrat Ursel die holzgetäfelte Eingangshalle, deren Wände von der langen Ahnengalerie der Herren von Urberg geziert wurden. Beim Vorbeigehen erhaschte sie einen Blick auf das Konterfei des verstorbenen Norbert von Urberg, den Letzten in der Reihe, und sie musste unwillkürlich an das unflätige Betragen denken, das er im Frauenhaus zuweilen an den Tag gelegt hatte, wenn er einen über den Durst getrunken hatte. Mehrfach war er deswegen vom Frauenhausknecht gemaßregelt worden, und wenn das nicht geholfen hatte, war sie selbst eingeschritten. Was den Freiherrn meistens dazu bewogen hatte, seine Zeche zu begleichen, ein fürstliches Trinkgeld zu hinterlassen und sich auf den Heimweg zu begeben. Nicht selten hatte er seinen Rausch auch in Rosis Zimmer ausgeschlafen.
»Kannte Sie etwa meinen Gatten?«, wurde Ursel jäh von der metallischen Stimme der Freifrau aus ihren Gedanken gerissen und fuhr zusammen. Lioba von Urberg stand bewegungslos am Ende der Halle und beobachtete sie.
»Nein, nein«, murmelte die Hurenkönigin betreten und fügte hinzu: »Ich habe nur gehört, dass er kürzlich verstorben ist. Äh … mein aufrichtiges Beileid, Euer Hoheit.« Ursel deutete einen Knicks an und neigte den Kopf vor der Freifrau.
Diese hob dankend die kleine, schwarz behandschuhte Hand und erwiderte huldvoll: »Freifrau genügt.« Dann forderte sie Ursel auf, ihr nach drinnen zu folgen.
Ursel steckte der Schreck noch immer in den Gliedern. Beklommen ging sie hinter Lioba von Urberg her, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, in eine Falle zu tappen. Du wolltest eine Anstellung, und jetzt kriegst du sie!, suchte sie ihr Unbehagen resolut zum Schweigen zu bringen.
Als sie den Raum betrat, der sich an die Halle anschloss, riss sie vor Staunen die Augen auf. Solchen Prunk hatte sie noch nie zuvor gesehen. Der Kamin aus milchweißem Marmor war mannshoch, an der hohen holzgetäfelten Decke hingen massive, kunstvoll geschmiedete Kerzenleuchter, die ohne weiteres den Durchmesser ihrer Dachkammer hatten. Der Boden war bedeckt mit Teppichen, deren dichter Flor die Schritte angenehm dämpfte, die Wände drapiert mit golddurchwirkten Gobelins, auf denen Szenen des höfischen Lebens zu sehen waren.
Lioba von Urberg nahm auf einem thronähnlichen Lehnstuhl am Kamin Platz und bedeutete Ursel mit befehlsgewohnter Geste, näher zu treten.
Höflich stellte Ursel sich der Freifrau als die Näherin Marie Zimmer vor, die auf der Suche nach einer Anstellung war.
»Hat Sie flinke, geschickte Finger?«, fragte Lioba von Urberg und besah prüfend Ursels Hände.
»Die Nadel fliegt mir nur so durch die Finger, und ein Saum, den ich geheftet habe, hält«, erklärte die Hurenkönigin selbstbewusst, denn da sie als Schneidertochter so gut nähen konnte, besserte sie den Huren immer die Kleider aus und flickte ihre Wäsche.
Um die Mundwinkel der Freifrau spielte ein feines Lächeln. »Famos«, erwiderte sie mit leichtem Spott. »Dann folge Sie mir doch gleich ins
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