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Die Hurenkönigin (German Edition)

Die Hurenkönigin (German Edition)

Titel: Die Hurenkönigin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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aussehen, wenn sie später bei der Freifrau vorsprach.
    Während sie auf leisen Sohlen die morschen Stiegen der Holztreppe hinabstieg, um das noch schlafende Haus nicht zu wecken, musste sie mit tiefer Wehmut an Bernhard denken, und die Zuneigung, die sie für ihn empfand, bereitete ihr fast Schmerzen. Sie jagte hier in Sachsenhausen einem Phantom hinterher, und mit ihrer Liebe ging es den Bach runter … Ob er ihr den Rückfall jemals verzeihen würde? Sie wusste, wie geduldig und langmütig der Geliebte war – und wie innig er sie liebte. Hatte sie etwa den Bogen überspannt? Er hatte sie gewarnt, und sie war trotzdem wieder schwach geworden. »Wir sind geschiedene Leute!«, hatte er zuletzt gesagt und sich von ihr abgewandt. Niemals, da war sie sich sicher, würde er solche Worte leichtfertig gebrauchen.
    Ursel versuchte tapfer, ihre Traurigkeit, die ihr wie ein Kloß im Halse steckte, hinunterzuschlucken. Unversehens verlangte es sie nach der Himmelsarznei, derer sie sich seit Mittwochabend so standhaft enthalten hatte. Nach kurzem Zaudern murmelte sie jedoch »Nein!« und setzte ihren Weg fort.
    Das kühle Brunnenwasser tat ihr gut und machte sie munter. Alles zu seiner Zeit. Ich werde ihn schon wieder zurückerobern, dachte sie hoffnungsvoll.
    Zurück in ihrer Kammer, kleidete sie sich an, frisierte sich sorgfältig, setzte die weiße Leinenhaube auf und überlegte kurz, ob sie ihren Tornister umschnallen sollte. Sie entschied sich jedoch, ihn dazulassen und nur den Leinensack mit den Nähutensilien mitzunehmen. Noch wusste sie ja gar nicht, ob die Freifrau sie tatsächlich einstellen würde. Sollte dies der Fall sein, konnte sie den Rucksack mit ihren Habseligkeiten auch später noch holen. Leise trat sie auf den Flur hinaus und verschloss die Mansardentür. Im Treppenhaus war immer noch alles ruhig – was ihr sehr gelegen kam, denn so musste sie keine neugierigen Fragen beantworten.
    Als sich Ursel um die siebte Stunde auf den Weg zum Hofe der Herren von Urberg machte und durch die Brückengasse Richtung Main lief, öffneten die Torwächter gerade das Brückentor, durch welches sogleich Fuhrwerke und Passanten strömten. Nach der gestrigen Hinrichtung auf der Mainbrücke ging heute alles wieder seinen gewohnten Gang.
    Die Hurenkönigin, die es als wohltuend empfand, in ihrer unauffälligen Kleidertracht wenig Beachtung zu finden, schlenderte gedankenversunken die Dreikönigsgasse entlang, bis sie unweit des Schaumaintors vor dem weiten Flügelportal stand, über dem das in Stein gemeißelte Wappen der Herren von Urberg prangte. Angesichts des mächtigen Portals, das breit genug war, zwei hochbeladene Pferdefuhrwerke passieren zu lassen, fühlte sich Ursel geradezu klein und unbedeutend. Dennoch griff sie beherzt nach der Messingschelle und läutete.
    Gleich darauf öffnete ihr ein livrierter Diener das Tor und erkundigte sich mit kühler Herablassung nach ihrem Begehr.
    »Ich möchte nachfragen, ob die Freifrau eine Näherin benötigt«, erklärte die Hurenkönigin mit fester Stimme und bedachte den hochnäsigen Domestiken mit einem Blick, der alles andere als devot war.
    Der Diener erwiderte borniert: »Da wird Sie sich noch ein wenig gedulden müssen. Die Herrin ist eben erst aufgestanden und möchte bei ihrer Morgentoilette nicht gestört werden. Trete Sie meinethalben ein und setz Sie sich solange auf die Treppe. Ich werde Ihr dann Bescheid geben.«
    Der Diener ließ Ursel eintreten, verschloss hinter ihr das Tor und rauschte davon.
    Ursel ließ ihre Blicke über den gepflasterten Hof und das langgestreckte, schlossähnliche Gebäude wandern. Die Fensterfront war noch immer mit schwarzen Trauerfahnen versehen. Langsam ging die Hurenkönigin zum Eingangsportal mit der imposanten Freitreppe. Sie hatte sich gerade auf einer der Marmorstufen niedergelassen, als unversehens ein kleiner Stoffball vor ihren Füßen landete. Gleich darauf hetzten vier possierliche Hundewelpen heran und balgten sich darum. Ursel musste beim Anblick der Tiere unwillkürlich lächeln. Sie streichelte den Hündchen übers Fell, da ertönte aus dem Hintergrund ein durchdringender Pfeifton. Die Tiere purzelten übereinander und rangen übermütig und waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie auf den Ruf nicht reagierten. Ursel hob den Kopf und gewahrte eine kleine, schwarzgewandete Gestalt mit einer silbernen Pfeife, die mit raschen Schritten auf die Welpen zuging. Das liebreizende Gesicht des Mädchens bebte vor Wut, mit einer

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