Die Hurenkönigin (German Edition)
hochmütig die Lippen. »Ich bin eine geborene Baronesse von Heusenstamm, und dergleichen Animositäten entziehen sich meiner Kenntnis. Ich jedenfalls fühle mich als Offenbacherin in Frankfurt ausgesprochen wohl.« Sie erhob sich vom Stuhl und schlenderte zu Ursel. »Ach, da ist noch was«, fügte sie mit süffisantem Lächeln hinzu. »Meine Frau Mutter, Mathilde von Heusenstamm, hat, obgleich sie mindestens so alt ist wie Sie, immer noch eine so schlanke Taille, dass man sie mit zwei Händen umspannen kann.«
»Ich habe nie das Gegenteil behauptet«, erwiderte Ursel und setzte unbeirrt ihre Arbeit fort, was Lioba zu ärgern schien.
»Sie hat auch nichts zu behaupten«, zischte sie und war vor unterdrückter Wut ganz blass geworden.
Im nächsten Moment wandte sie sich von der Hurenkönigin ab und flüsterte etwas vor sich hin, was Ursel nicht genau verstehen konnte. Dennoch traf sie der verächtliche Ton, mit dem die Freifrau die Worte ausstieß, bis ins Mark.
»Was habt Ihr da gesagt?«, fragte Ursel verstört.
Die Freifrau drehte sich zu ihr um und war wieder die Liebenswürdigkeit in Person. »Ich habe doch gar nichts gesagt«, erwiderte sie lächelnd und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal zu Ursel umdrehte. »Dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten. Je eher Sie mit dem Kleid fertig ist, desto besser. Ich werde mir heute Abend Ihre Arbeit anschauen. Da fällt mir noch ein: Wenn Sie sich zwischendurch einmal erleichtern muss – links unter dem Wandregal steht ein Nachttopf. Ach, und nimm Sie es mir bitte nicht übel, dass ich Sie jetzt einschließen muss. Aber solange Sie mit dergleichen Preziosen zu tun hat, muss das leider sein. Denn, wie gesagt, wem kann man schon noch trauen …«, erklärte die Freifrau, schlüpfte flink aus der Tür hinaus und drehte von außen den Schlüssel im Schloss um.
Ursel konnte es nicht fassen. Alles war so schnell gegangen, dass ihr keine Zeit zum Widerspruch geblieben war. Dieses hinterhältige Weib hat mich eingesperrt! Sie fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen, stürzte zur Tür und drückte immer wieder vergeblich die Klinke. Am liebsten hätte sie ihrem Zorn freie Bahn gelassen und mit den Fäusten dagegengeschlagen. Doch sie zwang sich zur Mäßigung, obgleich ihre Atemzüge immer keuchender wurden. Sie kam sich vor wie ein Tier im Käfig.
Gebt acht, Zimmerin, dass Ihr nicht selber zur Gejagten werdet!, gellte ihr die Warnung des Oberförsters in den Ohren, und eine lähmende Beklemmung schnürte ihr die Kehle zu. Die Luft in dem Turmzimmer war zum Schneiden. Schweißgebadet und nach Atem ringend hastete Ursel zum Fenster. Sie blickte hinab in einen gähnenden Abgrund. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie isoliert sie war. Niemand wusste, wo sie sich befand. Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein!, verfluchte sie sich selbst. Immer wieder ging ihr die Frage durch den Sinn, ob die Freifrau erkannt hatte, dass sie die Frau im gelben Hurengewand war, die ihr damals am Mainufer zugewunken hatte. Was, wenn sie es weiß und es ihrem Cousin sagt? Vielleicht hat sie mich ja deswegen eingesperrt … Wenn er wirklich der Mörder ist, dann bin ich in großer Gefahr!
Ursel sog tief die Luft durch die Nase und versuchte sich zu beruhigen. Sie wird mich schon nicht erkannt haben. Ich war viel zu weit weg von ihr, und es war ja auch nur für einen kurzen Moment. Sie hat mich wahrscheinlich wirklich nur wegen der Perlen hier eingeschlossen …
Entschlossen ergriff Ursel die Nähnadel und wandte sich wieder ihrer Stickarbeit zu. Die Panik begann zwar langsam zu verebben, dennoch kreisten ihre Gedanken weiterhin um die Freifrau. Sie war auf jeden Fall ein bösartiges Geschöpf.
Die Hurenkönigin vermochte nicht einzuschätzen, wie lange sie schon am Fenster stand und eine Perle nach der anderen auf die Ärmel und das Oberteil des schiefergrauen Samtkleides nähte, als sie plötzlich draußen auf der Treppe Schritte hörte. Sie schaute angespannt zur Tür. Als sie jedoch anstelle der Freifrau eine junge Dienstmagd im Türrahmen gewahrte, die ein Tablett in den Händen hielt und Ursel entwaffnend anlächelte, atmete sie erleichtert auf.
»Die Freifrau lässt Euch etwas zur Stärkung bringen«, erklärte die junge Frau freundlich und stellte das Tablett mit dem Wasserkrug und den Speisen auf dem Tisch ab.
Ursel, deren Kehle ausgetrocknet war, schenkte sich Wasser in einen Trinkbecher und trank ihn in großen Zügen leer. Dann sah sie die Brotscheiben
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