Die Hurenkönigin (German Edition)
Nähzimmer …«
Die zierliche Adelsdame, die den grazilen Körperbau eines Mädchens hatte und der stattlichen Hurenkönigin gerade bis zur Brust reichte, war aufgestanden und sah Ursel, die wie vom Donner gerührt vor ihr stand, abwartend an.
»Heißt das, Ihr nehmt mich?«, fragte die Hurenkönigin überrascht und rang sich ein schiefes Lächeln ab.
»Das heißt es! Vorausgesetzt natürlich, Sie sieht sich in der Lage, meinen Ansprüchen zu genügen«, entgegnete die Freifrau und runzelte ungeduldig die Stirn.
Die Hurenkönigin zuckte unsicher mit den Schultern. »Schon«, murmelte sie zögerlich und wusste selbst nicht, was plötzlich über sie gekommen war. »Ich … ich muss nur noch schnell meine Sachen holen. Das ist hier ganz in der Nähe, in einer Fremdenherberge in der Paradiesgasse …«, stieß sie hervor und machte unwillkürlich einen Schritt zur Tür.
»Das kann Sie auch noch machen, wenn Sie mit ihrer Arbeit fertig ist!«, sagte die Freifrau in scharfem Ton. »Wenn Ihr das indessen nicht passt, kann Sie auch gehen und braucht nicht mehr wiederzukommen.« Die himmelblauen Augen verströmten wieder eine Kälte, dass der Hurenkönigin förmlich das Blut gefror. Das ist keine gute Fee!, hallte die schreckliche Erkenntnis aus dem Traum durch ihre Sinne, doch sie war unfähig, sich von der Stelle zu rühren.
»Es ist nämlich Eile geboten. Morgen Abend, wenn mein Cousin kommt, soll das Kleid fertig sein«, erläuterte die Adelsdame versöhnlicher. Offenbar war ihr daran gelegen, Ursel zu halten. Sie blickte fragend.
Die Hurenkönigin stieß vernehmlich den Atem aus und stimmte zu, nicht zuletzt, weil die Erwähnung des Cousins sie an ihre eigentliche Mission gemahnt hatte. Ihr war, als hätte sie in den Augen der Freifrau soeben ein triumphierendes Aufblitzen wahrgenommen.
»Gut, dann begeben wir uns doch ins Nähzimmer, damit Sie gleich mit Ihrer Arbeit anfangen kann«, sagte Lioba von Urberg mit zufriedenem Lächeln und ging voran.
Sie führte Ursel über eine steile Wendeltreppe in ein Turmzimmer. Darin stand eine hölzerne Schneiderpuppe, über die ein kostbares Gewand aus schiefergrauem Samt mit ellenlanger Schleppe drapiert war.
»Ein Trauergewand für festliche Anlässe. Es ist noch nicht ganz fertig«, erklärte Lioba. »Die Säume sind erst gereiht und müssen noch vernäht werden. Ihre Vorgängerin war damit befasst. Aber sie hatte plötzlich keine Lust mehr, weil sie es vorzog, mit einem Bäckergesellen davonzulaufen.« Sie schüttelte indigniert den Kopf mit dem langen seidigen Goldhaar.
Oder weil sie es bei dir nicht mehr ausgehalten hat, dachte Ursel bei sich und griente verständnisvoll, während sie die Wandregale betrachtete, in denen sich Garnrollen, Stickrahmen und verschiedene Stoffballen befanden.
»Für unsere Wandteppiche«, erläuterte die Freifrau. »An den langen Winterabenden pflegen meine Tochter und ich uns nämlich damit zu ergötzen.« Stolz fügte sie hinzu: »Die Gobelins im Kaminzimmer stammen von uns.«
»Beeindruckend«, murmelte Ursel voller Anerkennung.
»Sie kann sich gerne hinsetzen, wenn Sie möchte.« Die Freifrau wies auf einen der Stühle, die an einem runden Holztisch vor dem Fenster standen. »Da hat man das beste Licht.« Sie ging zu einem Wandbord, nahm eine kleine Holztruhe und stellte sie auf den Tisch. Dann öffnete sie die Kiste mit einem kleinen Schlüssel, den sie an einem Schlüsselbund am Gürtel trug. Lioba von Urberg entnahm der Truhe ein sorgsam verschnürtes rosafarbenes Seidensäckchen und öffnete es. Es enthielt eine Vielzahl silbergrau glänzender Perlen. Ursel blickte sie bewundernd an.
»Ein Geschenk meines Cousins Jakob von Stockheim. Sie stammen aus dem Westindischen Ozean, der die Neue Welt umgibt«, erklärte die Freifrau lächelnd und geriet unversehens ins Plaudern. »Er hat sie mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt. Es sind genau 111 Perlen, da ich an einem 11. Januar geboren bin. Ist das nicht spaßig? Er hat immer so originelle Einfälle. Und auf dieses Kleid soll Sie mir die Perlen sticken. Dafür nimmt Sie am besten das Garn aus Goldbrokat, das ist am stabilsten …« Die Freifrau zog eine goldene Garnrolle aus dem Regal, legte sie auf den Tisch und ließ sich auf dem Stuhl gegenüber nieder. »Nähutensilien findet Sie hier in dem Kästchen.« Lioba deutete auf ein hölzernes Behältnis auf dem Tisch.
Ursel wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn in dem Turmzimmer war es genauso stickig wie in der
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