Die Hurenkönigin (German Edition)
Dachmansarde der Fremdenherberge. Mit feuchten Händen legte sie ihren Nähbeutel, den sie die ganze Zeit umklammert hatte, auf den Tisch und erklärte: »Danke, aber mein Handwerkszeug habe ich schon selber dabei.«
»Wie sich das für eine gute Näherin ja auch gehört«, bemerkte die Baronin, auf deren Alabasterteint nicht der kleinste Schweißtropfen zu sehen war, mit unergründlichem Lächeln. »Ich hoffe, es irritiert Sie nicht allzu sehr, wenn ich Ihr ein wenig Gesellschaft leiste. Aber ich möchte sehen, wie Sie sich so anstellt. Und dabei kann Sie mir ein bisschen was über sich erzählen, denn schließlich möchte man ja wissen, wen man sich da ins Haus nimmt …« Das sagte sie leichthin, während ihre Augen Ursel unablässig fixierten.
Mit verschwitzten Fingern nestelte Ursel eine Nähnadel aus der Nadeldose, fädelte den Goldfaden durch das Nadelöhr, entnahm dem Säckchen ein paar Perlen und wollte sich ans Werk machen.
Doch die Freifrau bedeutete ihr: »Rücke Sie doch die Schneiderpuppe ans Fenster, da hat Sie besseres Licht.«
Ursel tat, wie ihr geheißen, wischte sich verstohlen den Schweiß aus den Augenwinkeln und fing mit bebenden Händen an zu nähen.
»Dass Sie mir bloß keine Perle ›versehentlich‹ auf den Boden fallen lässt«, sagte Lioba hämisch. »Denn ich kann Ihr versichern, dass ich genau nachzählen werde, wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig ist.«
Ursel schaute die Freifrau verärgert an. »Ich bin keine Diebin«, erklärte sie empört, »ich habe so etwas nicht nötig!«
»Ist ja gut«, wiegelte Lioba ab. »Ich will Ihr ja nicht unterstellen, dass Sie lange Finger macht … Aber ich habe diesbezüglich mit Hausangestellten schon schlimme Erfahrungen machen müssen.« Ihr Madonnengesicht verdüsterte sich. »Wem kann man denn heute noch trauen?« Sie seufzte und maß Ursel mit einem taxierenden Blick. »Wo kommt Sie denn eigentlich her? Erzähl Sie mir doch ein wenig von sich …«
»Ich stamme aus Offenbach und bin seit vier Jahren verwitwet. Mein verstorbener Mann war Gewandmacher«, erwiderte Ursel, ohne ihr emsiges Nähen zu unterbrechen.
»Was Sie nicht sagt!«, bemerkte Lioba erstaunt. »Ich war des Glaubens, Sie sei aus Sachsenhausen. Sie kommt mir nämlich irgendwie bekannt vor. Ich dachte, ich hätte Sie hier schon einmal gesehen.«
Der Hurenkönigin wurde es siedend heiß. Vielleicht war es ja doch sie, die ich damals auf dem Steg gesehen habe, und nicht ihre Tochter. Die beiden gleichen sich ja sehr … Und an diesem Tag hatte ich doch mein gelbes Hurengewand an!
»Das kann nicht sein«, presste die Zimmerin hervor. »Ich bin erst gestern aus Offenbach hergekommen. – Könnt Ihr vielleicht bitte das Fenster öffnen, ich bin ganz schön am Schwitzen.«
»Das ist schwerlich zu übersehen«, bemerkte Lioba und rümpfte die filigrane Nase. »Und riechen tut man es auch.« Sie erhob sich und öffnete knarrend das kleine Fenster mit den bleiverglasten Scheiben. Schwüle Luft drang herein, die keinerlei Abkühlung brachte.
»Ich predige meinen Mägden immer, sie sollen bloß die Fenster zulassen, wenn es heiß ist, sonst kommt nur die Hitze ins Haus. Aber gut, wenn Sie es halt so will …« Sie musterte Ursel mit einem seltsamen Blick. »Soso, aus Offenbach ist Sie. Dann hat Sie doch gewiss für die Herren von Heusenstamm gearbeitet oder auch für die Ritter von Rumpenheim, wenn Ihr Mann Gewandschneider war?« Sie brach unversehens in Kichern aus. »Ach Gott, da hat Ihr armer Gatte ja Unmengen von Stoff gebraucht, wo doch die Freifrau von Heusenstamm so rund ist wie ein Hefekloß!«
Ursel, die das Gefühl hatte, die Freifrau versuchte ihr eine Falle zu stellen, runzelte die Stirn und erwiderte zurückhaltend: »Daran kann ich mich nicht erinnern, mein Mann ist meistens alleine zu den Herrschaften gegangen.«
»Und warum ist Sie nicht in Offenbach geblieben und hat das Gewerbe Ihres Gatten weitergeführt?«, fragte Lioba.
Der Zimmerin wurde es langsam zu bunt mit der Ausfragerei. »Ich bin gebürtige Frankfurterin«, entgegnete sie. »Und jetzt, wo mein Mann tot ist und die Kinder aus dem Hause sind, zieht es mich in die alte Heimat. – Als echte Frankfurterin bin ich in Offenbach sowieso nie ganz heimisch geworden. Das könnt Ihr doch vielleicht verstehen? Ich meine, Ihr habt doch bestimmt schon gehört, dass sich die Offenbacher und die Frankfurter nicht so grün sind?«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meint«, erwiderte die Freifrau und kräuselte
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