Die Hurenkönigin (German Edition)
aus den Händen glitt und krachend zu Boden fiel.
Die Freifrau trat aufgebracht in das Zimmer. »Kann Sie denn nicht achtgeben!«, fauchte sie und schubste die Magd zur Seite. »Das hat Sie jetzt davon, wenn Sie die ganze Zeit nur am Klatschen ist, anstatt Ihre Arbeit zu machen«, schimpfte sie erbost. »Aber ich habe mir schon so was gedacht, weil Sie als und als nicht beigekommen ist …« Wütend trat Lioba mit ihrem zierlichen Fuß, der in schwarzen Samtpantoletten steckte, gegen das zerbrochene Geschirr.
Die junge Magd war den Tränen nahe. »Worauf wartet Sie denn noch?«, herrschte Lioba sie an. »Räum Sie auf der Stelle die Scherben weg und geh Sie mir aus den Augen!«
Während die Magd mit zitternden Händen die Scherben vom Boden aufklaubte und mit gesenktem Kopf davonschlich, wandte sich die Freifrau an Ursel: »Wie weit ist Sie mit Ihrer Arbeit?«
»Der Rocksaum ist fertig, ich muss nur noch die Ärmel und den Ausschnitt machen …«, erwiderte die Hurenkönigin.
Lioba von Urberg ging auf die Schneiderpuppe zu und begutachtete den Saum. Sie schien mit der Arbeit zufrieden zu sein, enthielt sich diesmal jedoch eines Lobes. Stattdessen erkundigte sie sich bei Ursel: »Wie lange wird Sie dafür noch brauchen?«
Ursel überlegte. »Höchstens zwei Stunden.«
»Gut«, erwiderte die Freifrau. »Ich hole dann das Kleid ab. – Stärke Sie sich meinethalben erst einmal, ehe Sie weitermacht. Wer gut arbeitet, muss auch gut essen«, bemerkte sie gönnerhaft. »Ach, und was meinen Cousin, den Freiherrn von Stockheim, anbetrifft – wenn Sie fromm und sittsam ist, dann wird Sie sich sicher gut mit ihm vertragen. Und das ist Sie doch, oder täusche ich mich da vielleicht?« Lioba hob neckisch den Zeigefinger und zwinkerte Ursel zu.
Die Hurenkönigin schwieg. Ihr war, als läge in Liobas Blick wieder etwas Lauerndes. Sie hat die ganze Zeit vor der Tür gestanden und alles mitgehört!, durchfuhr es sie. Und schon wieder so eine Anspielung – wenn Sie sittsam und fromm ist! Sie hat doch irgendwelche Hintergedanken …
Ursel hatte das beklemmende Gefühl, Lioba könnte ihre Gedanken lesen. Die unbarmherzigen kalten Augen schienen sie bis auf die Knochen zu durchleuchten. Mit angehaltenem Atem begegnete die Hurenkönigin dem durchdringenden Blick der Adelsdame. Es war ein stummer Machtkampf, der ihre ganze Kraft beanspruchte. Das Ringen zog sich endlos hin, bis Ursel war, als müsste sie gleich platzen. Gleich fährt sie ihre Krallen aus und schlägt sie mir ins Gesicht. Mit einem Mal kam Ursel ein schrecklicher Gedanke, der ihr den Atem stocken ließ: Die Katze spielt erst mit der Maus, bevor sie zum tödlichen Biss ansetzt!
Ursel schrak heftig zusammen, als es plötzlich an der Tür klopfte.
»Herein«, erwiderte die Freifrau und runzelte ungehalten die Stirn.
Der Diener, der Ursel gestern eingelassen hatte, trat in den Raum, verbeugte sich tief vor seiner Herrschaft und verkündete: »Entschuldigt bitte die Störung, Herrin, aber da ist ein Herr, der Euch zu sprechen wünscht. Er wartet unten in der Halle.«
Es hatte bereits zur ersten Nachmittagsstunde geschlagen, als der livrierte Diener in die Halle zurückkehrte und Bernhard von Wanebach meldete, die Freifrau von Urberg sei nun bereit, ihn zu empfangen. Die Wartezeit hatte sich beträchtlich in die Länge gezogen, und Bernhard bebte vor Ungeduld, als er durch die geöffnete Flügeltür in den prunkvollen Wohnraum trat.
Lioba von Urberg thronte auf einem Lehnstuhl und hieß den Besucher willkommen.
Mit einer Verbeugung stellte sich Bernhard als Doktor von Wanebach aus Frankfurt vor.
Die Freifrau bot ihm einen Stuhl an. »Was kann ich für Euch tun?«, erkundigte sie sich entgegenkommend.
Bernhard war verblüfft über ihre Erscheinung. Lioba von Urberg war überaus zierlich und mädchenhaft. Sie trug ein schmuckloses schwarzes Trauergewand. Die gewellten, goldblonden Haare glänzten wie Seide und reichten ihr bis zu den Hüften. Auf dem Kopf trug sie einen schlichten Goldreif.
Doch am meisten beeindruckte ihn das Gesicht der Freifrau, er musste an sich halten, sie nicht die ganze Zeit anzustarren. Es war ein Antlitz von engelhafter Schönheit.
»Verehrte Freifrau, ich hoffe, dass ich nicht ungelegen komme«, eröffnete Bernhard höflich das Gespräch. »Ich möchte Eure Zeit auch nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, sondern mich lediglich erkundigen, ob Ihr möglicherweise in den letzten Tagen eine Näherin eingestellt habt?«
Die Freifrau
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