Die Hurenkönigin (German Edition)
Bernhard eine Idee. Josef! Der ehemalige Frauenhausknecht arbeitete doch inzwischen als Forstarbeiter im Sachsenhäuser Forst, der zu Pferde schnell zu erreichen war. Er würde Josef um Hilfe bitten. Der würde sie ihm auch sicher nicht versagen, wo er doch auf Ursel stets so große Stücke gehalten hatte.
Als die Hurenkönigin erwachte, war sie noch ganz benommen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte, und wusste nicht, ob es Morgen oder schon Mittag war. Sie richtete sich auf und schlurfte zum Fenster, um anhand des Sonnenstandes die Tageszeit zu ermitteln, doch die Sonne war hinter dem dichten Wolkenschleier nicht zu erkennen.
Um das angebissene Hühnerbein auf dem Tisch tummelten sich bereits dicke Fliegen. Sie summten laut, als Ursel sie verscheuchte. Geistesabwesend schenkte sie sich etwas Wasser in den Becher und trank davon. Die Ereignisse des vergangenen Tages ließen sie nicht los. Wie Nadelstiche hatten sich die Anspielungen der Freifrau in ihr Gedächtnis geprägt, und zum abendlichen Abschied hatte ihr Lioba noch einen regelrechten Dolchstoß verpasst. Es war der blanke Hass, der aus ihr gesprochen hatte …
Mit unguten Ahnungen dachte Ursel an den bevorstehenden Abend, an dem Lioba ihren Cousin, den Freiherrn von Stockheim, erwartete.
Die Hoffnung, dem Marienverehrer und vermeintlichen Weiberknecht im Hause Urberg zu begegnen, war für Ursel die treibende Kraft gewesen, sich hierherzubegeben. Im Moment graute ihr jedoch vor diesem Zusammentreffen. Zwar war sie aus freien Stücken in dieses Haus gekommen, doch inzwischen war ihr, als säße sie in der Falle. Eins war sicher: Sie musste dieses teuflische Spiel weiterspielen – bis zum bitteren Ende!
Falls die wissen, wer ich bin, droht mir das gleiche Schicksal wie Rosi und Isolde!, durchfuhr es die Zimmerin, und obgleich sie in ihrem Leben nie einem Kampf ausgewichen war, fühlte sie sich mit einem Mal schwach und ohnmächtig. Große Mutter, steh mir bei!, sandte sie ein Stoßgebet an die Himmelskönigin und hoffte inständig, dass sich ihre Befürchtungen nicht erfüllten und Lioba sie nach wie vor für eine harmlose Näherin hielt. An etwas anderes durfte sie gar nicht denken, denn sie musste unbedingt weiterhin den Schein wahren. Falls sie sich im Haus der Mörder befand, war es sogar überlebenswichtig für sie, dass sie die Rolle der Näherin mit aller Überzeugung spielte. Auch nur der geringste Selbstzweifel würde sie unglaubwürdig machen, und die Maske bekäme Risse …
Auch wenn Ursel es nicht verhindern konnte, dass sie am ganzen Körper zitterte, nestelte sie aus ihrem Nähbeutel die Arbeitsutensilien hervor, fädelte einen Zwirn ins Nadelöhr und fing an, die vorgereihten Säume des Festgewandes mit festen kleinen Stichen zu fixieren.
Josef, der seit dem frühen Morgen auf einer Lichtung unweit des Forsthauses mit Holzhacken beschäftigt war, blickte erstaunt von der Arbeit auf, als Oberförster Staudinger Bernhard von Wanebach zu ihm führte.
Obwohl die beiden Männer sehr unterschiedlich waren, hatten sie sich all die Jahre immer gut verstanden und mochten sich. Daher begrüßte der ehemalige Frauenhausknecht den Gelehrten kameradschaftlich mit einem Handschlag und ließ sich neben ihm auf einem Baumstumpf nieder. Nachdem Bernhard ihm sein Anliegen vorgetragen hatte, entgegnete Josef mit fester Stimme: »Natürlich komme ich mit und helfe Euch, die Meistersen zu suchen – wenn der Herr Oberförster nichts dagegen hat.« Er blickte Staudinger, der dem Gelehrten ebenfalls zugehört hatte, fragend an.
»Meinetwegen geht halt mit«, erwiderte Staudinger. »Hoffentlich ist der Zimmerin nichts passiert. Ich hab noch zu ihr gesagt, dass sie sich in Acht nehmen soll, als sie am Donnerstagnachmittag bei mir war.« Er berichtete dem Gelehrten von Ursels Besuch im Forsthaus und dass sie ihn in ihre Pläne eingeweiht hatte. »Hat sogar im Riedhof wegen einer Anstellung vorgesprochen, das verrückte Frauenzimmer. Natürlich vergebens, aber das hätte ich ihr auch gleich sagen können, dass dieser Stockfisch sie nicht einstellt. Der hat doch Angst vor Weibern«, mokierte er sich. »Und das habe ich ihr auch klarmachen wollen, als sie mit mir darüber gesprochen hat – dass er es vielleicht war, zu dem die jüngst ermordete Hübscherin immer hin ist.«
Bernhard hatte ihm mit ernster Miene zugehört. Dann mahnte er zum Aufbruch.
»Sagt Bescheid, wenn irgendetwas ist. Mit mir und meinen Leuten könnt Ihr rechnen«,
Weitere Kostenlose Bücher