Die Hurenkönigin (German Edition)
Tisch, schob das Brett mit den Essensresten vom Vorabend zur Seite und platzierte den Teller in der Mitte. Während sie das andere Speisetablett anhob, bemerkte sie entrüstet: »Ihr habt ja kaum etwas gegessen von dem Hähnchen! – So was Feines haben wir noch nie gekriegt …«, fügte sie neidvoll hinzu. »Da müsst Ihr ja schon was ganz Besonderes sein, dass die Freifrau Euch gebratenen Kapaun zukommen lässt. Das gewöhnliche Gesinde muss sich mit altem Brot und Haferbrei begnügen.« Die Magd sah das angebissene Hühnerbein bedauernd an.
»Es tut mir leid, aber ich hatte einfach keinen Appetit«, murmelte Ursel entschuldigend.
»Selber schuld.« Die junge Magd spähte in den leeren Weinkrug. »Na, der scheint Euch ja wenigstens gemundet zu haben«, bemerkte sie spitz. »Wie auch immer, für heute Mittag habt Ihr jedenfalls wieder was Schönes auf dem Teller. Die Köchin musste Euch was von dem kalten Braten abschneiden, der eigentlich für das Abendessen der Herrschaften vorgesehen ist.«
Die Hurenkönigin fragte sich verwundert, was wohl der Grund für diese Bevorzugung war. Wie zu sich selbst murmelte sie: »Warum tut sie das nur, die Freifrau?«
Die Magd warf einen vorsichtigen Blick zur Tür, ehe sie erwiderte: »Keine Ahnung, bei der weiß man nie, woran man ist! Die ist doch in ihren Launen so wechselhaft wie der Mond. Erst putzt sie dich noch runter, und gleich darauf lächelt sie dich an, als ob nichts gewesen wär.«
»Den Eindruck habe ich auch …«, sagte Ursel nachdenklich und sah der Magd in das bleiche, abgearbeitete Gesicht. »Nehmt Euch ruhig was von dem Essen«, bot sie ihr dann an. »Das schaffe ich sowieso nicht alleine.«
Das Mädchen warf einen begehrlichen Blick auf die Bratenbrote und leckte sich unwillkürlich über die Lippen. »Wenn das die Freifrau mitkriegt, bekomme ich den größten Ärger«, entgegnete sie mit gesenkter Stimme und schaute wieder zur Tür.
»Das braucht sie ja nicht zu erfahren«, meinte die Hurenkönigin und forderte das Dienstmädchen erneut auf, sich zu bedienen. Die Magd zauderte noch, sie griff erst zu, als Ursel sich eine belegte Schnitte vom Teller nahm und hineinbiss. Während sie kaute, behielt sie die ganze Zeit die Tür im Auge.
»Lass es dir schmecken, Mädel«, suchte Ursel sie aufzumuntern. »Keine Sorge, die Luft ist rein, das hört man doch, wenn jemand die Treppe raufkommt.«
Hektisch schlang die junge Magd das Brot hinunter. »Wenn Ihr Euch da mal nicht täuscht«, bemerkte sie mit bangem Unterton. »Die schleicht sich manchmal an wie eine Katze.«
»Ich dachte, Ihr hättet heute Euren freien Tag?«, erkundigte sich Ursel dann.
»Hab ich ja auch«, entgegnete die Magd und lächelte. »Nach dem Mittagessen mach ich mich auf den Weg nach Oberrad, zu meinen Eltern und Geschwistern. Was freu ich mich, sie endlich wiederzusehen! An Ostern war ich das letzte Mal bei ihnen. Die Freifrau gibt uns doch nur so selten frei. Da muss man sie immer erst auf den Knien bitten, bis sie einem mal einen freien Tag gewährt. Nur diesmal war sie ausgesprochen großzügig. Gestern Mittag hat sie alle Bediensteten zu sich bestellt und uns gesagt, dass wir am Samstag freimachen können und erst am Sonntagmorgen wieder da sein müssen. Nur die Köchin muss dableiben – die hat sich vielleicht geärgert! Geschieht ihr recht, der alten Giftkröte …« Die junge Magd kicherte schadenfroh. »Wir anderen waren alle ganz aus dem Häuschen vor Freude. Aber wir konnten uns keinen Reim darauf machen, was die Herrin da wieder geritten hat. So ist sie halt. Heute so und morgen so, ganz, wie es ihr beliebt. Na, mir kann es ja nur recht sein.« Die Magd ergriff das Tablett und wandte sich gut gelaunt zum Gehen. »Gott zum Gruße, Näherin – und frohes Schaffen«, wünschte sie mit einer gewissen Häme.
»O ja, ganz bestimmt«, erwiderte Ursel beklommen. »Ich soll doch den Herrschaften heute Abend das Essen servieren …«
»Ich weiß«, entgegnete die Magd. Sie wollte schon mit ihrem Ellenbogen auf die Türklinke drücken, als Ursel sie zurückhielt.
»Wartet noch einen Augenblick«, bat sie. »Wie ist er denn so, dieser Herr Cousin?«
»Der Freiherr von Stockheim? Ein komischer Kauz ist das. Der macht uns Dienstboten immer Konkurrenz, weil er die Freifrau von hinten und vorne bedient. Er nennt sie sogar ›Herrin‹!«, erklärte die Dienstmagd spöttisch.
Mit einem Mal wurde die Tür aufgerissen, so dass der Dienerin, die dicht davorstand, das Servierbrett
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