Die Hurenkönigin (German Edition)
schickt mich«, erklärte der Mann im grünen Jagdumhang mit gedämpfter Stimme, als die Gräfin die Tür hinter sich geschlossen hatte und er mit ihr allein war. »Ihr sollt Euch wie immer um die elfte Stunde bereithalten, ich hole Euch dann ab …«
»Ich fürchte, das wird nicht gehen«, unterbrach ihn die junge Frau und zuckte bedauernd die Schultern. »Seit der Ermordung unserer Gildeschwester wacht die Hurenkönigin mit Argusaugen darüber, dass keine von uns allein das Haus verlässt. Und selbst wenn sie es nicht mitkriegen würde, so würde ihr spätestens nach der Sperrstunde auffallen, dass ich fort bin, und es würde Ärger geben.«
»Gut, dann kann man nichts machen«, erwiderte der Mann mürrisch. »Ich werde es dem Freiherrn bestellen. Es wird ihm sicher nicht gefallen, aber wenn das Euer letztes Wort ist, wird er es halt akzeptieren müssen …« Er deutete eine Verbeugung an und wandte sich zum Gehen.
Isolde runzelte unwillig die hohe Stirn mit dem ausrasierten Haaransatz. Es behagte ihr nicht, einem langjährigen Stammfreier, der sie stets ausgesprochen großzügig für ihre Dienste entlohnte, eine Absage zu erteilen. Dann kam ihr eine Idee.
»Wartet«, stieß sie hervor. »Es gibt da vielleicht noch eine andere Möglichkeit …«
Der Mann mit dem grünen Filzhut blickte sie erwartungsvoll an.
»Wenn es dem Freiherrn recht ist, könnten wir das Stelldichein auf morgen Vormittag verschieben. Da hat das Frauenhaus nämlich geschlossen, und wir können das Haus verlassen, um Besorgungen zu machen oder etwas zu erledigen. Ihr könntet mich zur neunten Stunde am Brückentor abholen. Ich müsste allerdings um elf Uhr wieder zurück sein.« Die Gräfin musterte den Domestiken abwartend.
»Das wird der Herr Freiherr gewiss arrangieren können«, entgegnete der Diener zuversichtlich. »Ihm ist ja sehr an Eurem Besuch gelegen.«
»Ganz meinerseits«, bemerkte Isolde geschmeichelt und geleitete den Besucher zur Tür.
»Bis morgen also«, bekräftigte der Mann in der Jagdkleidung. »Und sollte etwas dazwischenkommen, benachrichtige ich Euch selbstverständlich.«
Als er verschwunden war, ließ sich Isolde zufrieden auf das mit einer Brokatdecke drapierte Bett sinken. Sie konnte sich Zeit lassen, denn morgen würde sie so gut verdienen wie andere Huren in einem ganzen Monat nicht.
Isolde genoss es, endlich für sich zu sein. Schon als kleines Mädchen hatte sie es geliebt, abseits von ihrer lärmenden Geschwisterschar an einem verborgenen Ort unbehelligt vor sich hin zu träumen. Früh hatte sie erkannt, dass sie anders war. Anders als diese dreckigen, verlausten Rotznasen, die sich um jedes Stück Brot balgten und in der Nachbarschaft für ein Almosen die Höfe fegten oder Holz trugen. Sie hatte das nie getan. Stolz war sie in ihren Lumpen an den Wohlhabenden vorbeigeschritten und hatte sie mit kalter Verachtung gestraft. Niemals hätte sie um irgendetwas gebettelt. Sie nahm sich einfach, was sie brauchte. Bald war sie eine Meisterin im Stehlen, ging früh von zu Hause weg und zog in die Fremde. Es war eine Flucht vor der bitteren Armut, in die sie hineingeboren war.
Auch unterwegs blieb sie für sich, ging in den großen Städten mit ihren Messen und Märkten allein auf Diebestour. Nach kurzer Zeit schon war sie in Samt und Seide gewandet und stieg in den besten Herbergen ab. Und dann entdeckte sie eine neue Quelle des Wohlstands: ihre Schönheit.
Die Männer verzehrten sich nach ihr, viele hätten alles getan, um sie zu halten. Doch sie machte sich nichts aus ihnen, ihr Herz empfand keine Liebe. Sie wollte nur ihr Geld. Und sie fing an, sich zu verkaufen. Vor allem an die, die reich waren. So war sie schließlich hier gelandet, als die schönste und begehrteste Hure von allen.
Im Laufe der Zeit hatte sie sich einen eigenen kleinen Hofstaat von gut betuchten Stammfreiern aufgebaut, die sie mit Geld und kostbaren Geschenken überhäuften. Ihre Kleidertruhe war voll mit prachtvollen Gewändern aus Samt und Atlasseide, die sie trug, wenn einer ihrer Galane sie zu einem Ritterturnier oder zu einem der festlichen Bälle des Adels führte. Sie liebte es, wenn die Aristokratinnen bei ihrem Anblick neidvoll die Nasen rümpften, denn sie war sich gewiss, dass ihr, was Schönheit und Grazie anbetraf, keine von ihnen das Wasser reichen konnte. Sie verströme eine Vornehmheit, wie er sie noch bei keiner seiner Standesgenossinnen erlebt habe, hatte ihr ein verliebter Herr des Hochadels einmal gestanden –
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