Die Hurenkönigin (German Edition)
»Nehmt einen Schluck von der Himmelsarznei, das wird Euch guttun.«
Ursel reagierte nicht, sie war wie gefangen in ihrer Trauer. »Wo … wo ist sie?«, presste sie nach geraumer Zeit hervor.
»In der Leichenhalle auf dem Peterskirchhof. Für drei Uhr ist die Leichenschau angesetzt. Aber ich kann Euch nur raten: Erspart Euch den Anblick …«
»Was hat man ihr angetan? Wurde sie gefoltert?«, brach es aus Ursel heraus.
Der Henker zögerte mit seiner Antwort und stieß vernehmlich die Luft aus. »Ähnlich wie die Rosi«, grummelte er ausweichend. »Man hat wohl versucht, sie anzuzünden, die Beine waren angekohlt. – Die Stadtoberen mutmaßen, dass die Nonne dahintersteckt, weil die Leiche wie die anderen Frauen in so einem Büßergewand steckte und die Haare abgesengt waren. Ich soll heute Nachmittag das peinliche Verhör durchführen, und dann wollen wir mal sehen … Ich für meinen Teil trau der alles zu.« Dann fuhr er in beruhigendem Tonfall fort: »Ich weiß nicht, ob das ein Trost für Euch ist, aber das Frauenzimmer wird in jedem Fall für seine Schandtaten büßen. Der Bürgermeister hat heute zu mir gesagt, dass die Nonne schon deshalb, weil sie den Tod der Lohnsetzerin verschuldet hat, mit der Todesstrafe rechnen muss. Und das ist ja auch nicht mehr als gerecht, oder?«
»Schon«, murmelte die Zimmerin leise, »aber dadurch werden meine Mädchen auch nicht wieder lebendig! Und das bricht mir das Herz …« Sie verfiel erneut in gequältes Wimmern.
»Ihr solltet momentan nicht so viel alleine sein, Gildemeisterin. Gibt es denn niemand, der sich ein bisschen um Euch kümmern kann? Wo ist eigentlich Euer Galan? Der ist doch sonst immer da …«
»Den habe ich vergrault«, erwiderte die Hurenkönigin traurig.
»Das renkt sich schon wieder ein, Zimmerin, ganz bestimmt«, sagte der Henker aufmunternd und wandte sich zum Gehen. »Und … wenn Ihr jemanden braucht, ich bin immer für Euch da.« Er errötete und verließ schnell das Zimmer.
Es hatte sich rasch abgezeichnet, dass die Oberin des Sankt-Spiritus-Ordens, Schwester Adalbertis, keineswegs bereit war, Schwester Theodora in Schutz zu nehmen. Von Anfang an bemüht, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, beteuerte sie dem Bürgermeister gegenüber, von Schwester Theodoras Machenschaften nichts gewusst zu haben. Selbstredend werde Theodora nach diesem schrecklichen Vorfall mit sofortiger Wirkung aus dem Orden ausgeschlossen, betonte Schwester Adalbertis. Theodora habe sich schon bald nach ihrem Eintritt in den Sankt-Spiritus-Orden ausschließlich um gestrauchelte Frauen gekümmert, weil sie vor ihrer Ordensweihe selbst ein höchst liederliches Leben als Wanderhure geführt habe. Sie selbst habe der Schwester stets freie Hand gelassen – was sich im Nachhinein, wie die Oberin zerknirscht eingestehen musste, als großer Fehler erwiesen habe.
Die Tatsache, dass Theodora in ihrem früheren Leben selbst eine Hure gewesen war, sowie die Schwere ihres Vergehens, durch das eine städtische Hübscherin ums Leben gekommen war, hatten es ratsam erscheinen lassen, der Angeklagten bei der peinlichen Befragung keine Schonung zukommen zu lassen.
Zwei Gefängnisbüttel führten die ehemalige Nonne, die seit ihrer Gefangennahme im Brückenturm ihr Ordensgewand gegen eine braune Kutte aus grobem Sacktuch getauscht hatte, in Ketten in den gewölbeartigen Verhörraum, der voller Folterwerkzeuge war. An einem langen Tisch saßen der Untersuchungsrichter, der Bürgermeister und drei Ratsherren sowie eine Abordnung des Frankfurter Klerus, der auch Pfarrer Roddach angehörte. Im Hintergrund war Meister Jerg damit beschäftigt, die entsprechenden Folterinstrumente bereitzustellen.
Gleich darauf trat der Henker auf die Gefangene zu und legte ihr lederne Daumenschlingen an, die er an einem Seil befestigte. Mit einem Ruck an der Seilwinde, die an der Gewölbedecke befestigt war, zog er Theodora so weit nach oben, dass sich ihre Füße eine Handbreit über dem Boden befanden. Die hagere Frau mit den dunklen Schatten unter den Augen stieß einen lauten Schmerzensschrei aus.
Mit gebieterischer Geste befahl ihr der Untersuchungsrichter zu schweigen und erklärte in amtlichem Tonfall: »Die Kriminaluntersuchung im Falle der Angeklagten Walburga Dietrich aus der niederrheinischen Ortschaft Wesel wird eröffnet. Die Angeklagte Dietrich, Tochter des Müllers Stephan Dietrich und seiner Ehefrau Irmgard, geborene Schimmel, wird vom ehrwürdigen Rate der freien
Weitere Kostenlose Bücher