Die Hurenkönigin (German Edition)
Unmenge dicker schwarzer Fliegen umgeben, die ihr ins Gesicht flogen und sich auf sie setzten. Die junge Frau stellte einen der Körbe ab, um die Insekten zu vertreiben. Aber ihr Summen wurde lauter, und sie wurden immer zudringlicher. Die Köhlerin bereute schon, dass sie nicht den Pfad genommen hatte, und unversehens wurde ihr bange. Sie wollte nur noch weg von dem Gestank und den ekelhaften Fliegen. Womöglich ein Stück Aas?, dachte sie und überlegte angespannt, wohin sie sich nun wenden sollte. Und dann sah sie es! – Der Anblick der an den Baumstamm gefesselten Leiche war so entsetzlich, dass sie vor Schreck die Körbe fallen ließ und gellend aufschrie. In wilder Panik flüchtete sie durch das Unterholz und rief lauthals um Hilfe. Im nächsten Augenblick rebellierte ihr Magen, sie musste stehen bleiben und sich erbrechen. Schlagartig verspürte sie heftige Schmerzen im Unterleib, und während sie sich noch beide Hände auf den Bauch presste, bemerkte sie alarmiert, wie ihr eine warme Flüssigkeit an den Innenseiten der Schenkel hinablief. Ihre Schreie wurden lauter und verzweifelter.
Der frühere Frauenhausknecht Josef Ott und zwei seiner Kollegen waren gerade damit beschäftigt, die alten, morsch gewordenen Pfosten einer Waldweide zu entfernen und durch neue zu ersetzen, als sie aus dem Wald Hilferufe vernahmen.
»Das muss hinten bei den Fischteichen sein«, bemerkte einer der Arbeiter, und die Männer ließen ihre Werkzeuge fallen und eilten dorthin.
Während sie sich der Stelle näherten, wurden die Schreie immer durchdringender.
»Eine Frau«, murmelte Josef hektisch. »Mensch, die brüllt ja wie am Spieß …«
Gleich darauf sahen sie eine junge Frau, die mit angezogenen Beinen und hochgerutschten Röcken auf dem Waldboden lag und sich die Hände auf den gewölbten Leib presste. Erschrocken beugten sich die Männer über sie, da stieß sie erneut einen lauten Schrei aus. Zwischen ihren Schenkeln war bereits der Kopf des Säuglings zu erkennen.
Obgleich die groben Gesellen über keinerlei Erfahrungen mit Kindsgeburten verfügten, taten sie instinktiv genau das Richtige. Sie betteten den Kopf der Gebärenden auf eine zusammengerollte Arbeitsjacke, und einer der Holzleute, der schon mehreren Tiergeburten beigewohnt hatte, breitete seinen Lodenumhang unter ihr aus und sprach begütigend auf die Frau ein. Im nächsten Augenblick zeigten sich auch schon die Schultern des Kindes, und mit einem letzten heftigen Schub gelangte schließlich auch der blutige, schleimüberzogene Säuglingskörper ans Licht der Welt. Der Forstgehilfe, der unversehens zum Geburtshelfer geworden war, barg ihn bebend in seinen Händen, und als das Neugeborene seinen ersten Schrei von sich gab, traten den Holzleuten vor Ergriffenheit die Tränen in die Augen. Mit seinem scharfen Jagdmesser durchtrennte der Mann die Nabelschnur, wickelte das Neugeborene in seinen Umhang und legte es der erschöpften Mutter auf die Brust. Mit seligem Lächeln schloss sie es in die Arme.
Für geraume Zeit standen die Männer nur schweigend da und waren überwältigt.
»Wir bringen Euch am besten nach Hause«, schlug der Geburtshelfer vor, »denn hier draußen könnt ihr ja nicht bleiben.«
Die junge Frau nickte und gab den Männern ein Zeichen, sich zu ihr hinunterzubeugen, weil ihre Stimme noch zu schwach war. »Dahinten am Baum ist etwas ganz Schreckliches!«, flüsterte sie erschöpft und wies mit bangen Augen auf das Tannendickicht. »Eine tote Frau. Schaut nach, und dann bringt uns bitte schnell hier weg …«
Jetzt nahmen die drei Männer den fauligen Geruch wahr. Sie hasteten durch das Unterholz, und der immer stärker werdende Verwesungsgestank verschlug ihnen fast den Atem.
Obgleich ihr Antlitz deutliche Spuren des Todes trug, erkannte Josef auf den ersten Blick, dass es sich bei der Frau in der Kutte aus grobem Sackleinen, die mit dem Rücken an den Baumstamm einer Fichte gefesselt war, um Isolde handelte. Er spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte, und erbrach sich unweit der Leiche. Seinen Kameraden erging es ebenso, und es bedurfte einiger Zeit, bis sie sich wieder gefasst hatten und in der Lage waren, mit dem Neugeborenen und seiner Mutter den Heimweg zur Köhlerhütte anzutreten.
Das freudige Ereignis der Kindsgeburt wurde von dem schauerlichen Leichenfund erheblich überschattet, und so marschierten die Männer schweigsam und beklommen den Waldweg entlang. Josef, als der stattlichste von ihnen, trug die junge Mutter,
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