Die Hurenkönigin (German Edition)
Reichsstadt zu Frankfurt am Main der folgenden Verbrechen beschuldigt: Sie hat drei ehemalige Bademägde im Keller des Sankt-Spiritus-Klosters wochenlang gefangen gehalten und gefoltert. Desgleichen hat sie die städtische Hübscherin und Lohnsetzerin des Frauenhauses am Dempelbrunnen, Ingrid Messer, in einen Verschlag gesperrt und sie qualvoll ersticken lassen. Für diesen Mord an einer freien Tochter des Rates muss aus der Obrigkeit heraus über das Blut gerichtet werden. Um das Recht der Wiedervergeltung auszuüben, verurteilt der Frankfurter Magistrat, vertreten durch den hochlöblichen Herrn Stadtschultheiß Reichmann und die ehrenwerten Senatsangehörigen Fichard und Neuhaus, die Beklagte zum Tode durch Ertränken.«
Die ehemalige Nonne gab ein verzweifeltes Wimmern von sich, was die anwesenden Herren mit finsteren Mienen quittierten.
»Ich frage nun die Beschuldigte Walburga Dietrich, ob Sie sich der vorgeworfenen Vergehen für schuldig bekennt?«, hallte die Stimme Lederers durch das Gewölbe.
Schwester Theodora, der die Tortur augenscheinlich große Qual bereitete, stammelte keuchend: »Ich habe doch nur gewollt … dass die Sünderinnen sich von ihrem schandbaren Gewerbe abwenden … und durch Buße geläutert werden … wie die heilige Maria Magdalena …«
»Oder wie Sie selbst, die, wie wir inzwischen wissen, jahrelang der Unzucht gefrönt hat! Sie ist eine Schande für Ihren Orden!«, keifte Pfarrer Roddach aufgebracht, was die übrigen Geistlichen durch eifriges Kopfnicken bekräftigten.
»Ich büße für meine Sünden!«, schrie Schwester Theodora. »Seit meiner Läuterung trage ich einen Bußgürtel, und es ist kein Tag vergangen, an dem ich mir nicht mit der neunschwänzigen Katze den Rücken gepeitscht habe. Ich bin immer tugendhaft geblieben und habe nie wieder der Unzucht gefrönt!«
»So tugendhaft, dass Sie sich dazu berufen fühlt, Hübscherinnen zu ermorden!«, schnitt ihr der Bürgermeister hämisch das Wort ab.
»Ich … ich habe sie doch nicht umbringen wollen!«, erwiderte Theodora schuldbewusst. »Ich habe ihr nur einen Knebel in den Mund gesteckt, weil sie mich so unflätig beschimpft hat und damit man ihre Schreie nicht so hört … Aber ich habe sie nicht töten wollen. Bitte glaubt mir das!«
»Wir glauben Ihr ja«, entgegnete der Untersuchungsrichter höhnisch und wechselte einen verschwörerischen Blick mit dem Bürgermeister. »Und Sie hat auch bestimmt die anderen Huren nicht töten wollen, oder?«, fragte er mit tückischem Lächeln.
Trotz ihrer Qualen schien Schwester Theodora plötzlich hellwach zu sein. »Welche anderen Huren?«, murmelte sie mit vor Schreck geweiteten Augen.
Das gesamte Straftribunal fixierte Theodora mit derart unbarmherzigen Blicken, dass die ehemalige Nonne in Panik geriet. »Ich habe den Tod einer Laienschwester verschuldet«, stammelte sie völlig außer sich. »Und dafür werde ich auch vor meinen göttlichen Richter treten.« Mit sich überschlagender Stimme schrie sie: »Aber ich habe keine anderen Huren ermordet! Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist!« Sie warf sich an den Daumenschlingen wild hin und her.
»Schweig Sie still, Sie liederliches Frauenzimmer, und versündige Sie sich nicht noch mehr!«, herrschte Pfarrer Roddach die Delinquentin an. Er schien erfüllt von heiligem Zorn.
Der Untersuchungsrichter wetterte: »Wenn Sie glaubt, Sie kann uns jetzt auch noch Lügen auftischen, werden wir Ihr schon beikommen! Wir lassen Sie noch ein Weilchen zappeln. Und dann wird Ihr der Züchtiger Daumenschrauben anlegen. Vielleicht wird Sie uns ja dann mit der Wahrheit aufwarten!« Er wandte sich an den Henker. »Angstmann, mach Er alles bereit. Wir machen solange eine Pause und vertreten uns die Beine. In einer guten Stunde sind wir wieder zurück, und dann machen wir mit der verschärften Fragestellung weiter.«
»Sie muss einen Helfer gehabt haben«, sagte Melchior Lederer zum Bürgermeister, als sie die Wendeltreppe des Brückenturms hinabstiegen. »Alleine hätte so ein dürres, klappriges Frauenzimmer das alles ja gar nicht bewerkstelligen können – die Frauen wegschaffen und an einen Baum binden oder in den Main werfen, wie bei der ersten Hübscherin.«
Reichmann stimmte ihm nachdenklich zu. »Da muss noch ein Mann mit im Spiel gewesen sein«, murmelte er und hielt inne. »Die Torwächter vom Brückentor haben doch gesehen, dass die Hübscherin in Begleitung eines Mannes über die Brücke nach Sachsenhausen geritten
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