Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
wurde Pilar angefaucht. "Musst du uns die Braceros auch noch wegnehmen?"
"Aber nein, mein Herz", sagte Pilar mit ihrer rauchigen Stimme. Sie tätschelte die Wange der hageren Dirne. "Ich kenne den Hunger und die Not. Aber ich bin, wie ich bin, und man wird zu dem, was das Leben aus einem macht. Ich gebe euch einen aus! Heute wollen wir feiern und fröhlich sein!"
"Gibt es einen Grund?", fragte Elena.
"Einen Grund?", erkundigte sich Pilar Soltano. Dann runzelte sie die Stirn. "Muss es immer einen Grund geben? Ist nicht alles trist genug?"
"Das sagst du?", fragte Elena, während die Gitarre wieder erklang, die Männer palaverten und die Mädchen lachten, wenn einer anzüglich mit ihnen spielte.
"Warum nicht?", erkundigte sich die Dirne, die offensichtlich etwas Besonderes war.
"Weil es für dich nicht trist ist!", stellte die rote Elena fest und schob ihren Freier von sich.
„Schluss, Alberto“, sagte sie zu ihm. "Schluss mit der Ableckerei! Du hast genug für deine Pesos!"
Dann wandte sie sich wieder an die Frau, die allgemein La Leona genannt wurde. "Nein, wie sollte auch für dich das Leben trist sein? Du hast ein Haus, hast ein Kind, du hast beinahe alles!"
"Nur beinahe", sagte die Leona mit einem wehmütigen Lächeln. "Aber was geht das dich an? Es geht keinen was an! Und nun sauft! Ich bezahle! Ich will euch nicht erschrecken. Ich will, dass ihr mich liebt. Ihr sollt mich nicht hassen!"
Alle sahen sie an. Spöttische, ängstliche, verächtliche, aber auch bewundernde Blicke tasteten die Leona ab. Sie war nicht mehr jung. Über dreißig war sie bestimmt, und das war alt für eine mexikanische Dirne. Über dreißig bedeutete für Dirnen ein verlorenes Leben. Was sie bis jetzt nicht hatte, bekam sie wohl nie.
Von irgendwo war La Leona gekommen. Und ihr Aufstieg in Alezcana war genau der, von dem die Dirnen hier alle träumten. La Leona war die Geliebte des Großgrundbesitzers Felipe Garcias-Romero. Don Felipe war verheiratet. Das hinderte ihn aber nicht, sich eine Geliebte zu halten. Das war bei den Großgrundbesitzern üblich. Doña Margarita wusste davon. Aber die Löwin stand in der Gunst Don Felipes. Warum das so war, konnte keiner genau sagen. Aber es wurden bereits Wetten darauf abgeschlossen, wann Pilars Stern verglühen würde.
*
" Hija de una puta ", sagte die schwarzgekleidete Frau zu dem Mädchen. „Tochter einer Hure!" Dann spie sie vor ihr aus.
Evita Soltano trug den Kopf so hoch, wie es ihr möglich war. Aufrecht ging sie mit dem gefüllten Wasserkrug an der Alten vorbei, drehte sich schließlich zur Seite und spie ihr vor die Füße. "Du Hexe!", rief sie ihr zu. Niemand sah, dass Evitas Augen nass waren, während sie zu dem Haus auf dem Hügel ging. Im Gegensatz zu den übrigen Häusern des Dorfes war dieses Haus sehr schön. Es besaß eine Säulenveranda, die von üppigen lila blühenden Schlingpflanzen überwuchert war. Aus dunklem Holz waren die Fenster und die Fensterläden, die den ganzen Tag wegen der Hitze geschlossen blieben. Das Haus hatte eine Dachterrasse und auch einen Innenhof, einen Patio, in dem ein Springbrunnen plätscherte. Dies war Evitas Garten. Die Tochter der Leona verbrachte hier die meiste Zeit des Tages. Nur um Trinkwasser zu holen, musste sie hinunter zum Brunnen gehen, denn vor einiger Zeit war ein Hund in ihren Hausbrunnen gefallen, das Wasser war ungenießbar.
Evitas Garten war das Einzige und das Beste, das es in ihrem Leben gab. Evitas Träume wandelten in diesem Garten, ihre Sehnsüchte schwebten von hier aus zu den Wolken und zogen mit dem Wind davon.
Evita war fünfzehn und wusste, was eine Puta war. Mit fünfzehn war Pilar Soltano Mutter geworden.
Das Leben ließ sie älter erscheinen. Aber Pilar hatte vieles, was andere Dirnen in ihrem Alter nicht besaßen. Freilich, viele der Dirnen hatten auch Kinder, aber im Gegensatz zu Pilar gaben die meisten Dirnen ihre unerwünschten Bälger gleich nach der Geburt weg oder setzten sie auf den Stufen einer der zahlreichen Kirchen einem ungewissen Schicksal und nicht selten dem Hungertod aus.
So war Pilar nicht. Sie war eine Hure und gleichzeitig eine gute Mutter. Sie war wie eine Löwenmutter, vielleicht hatte ihr das irgendwann ihren Beinamen eingetragen, vielleicht war sie deshalb die Puta espeziale , die Hure des Don Felipe geworden. Man wusste es nicht. Man wusste auch nicht, dass Evita unglücklich war. Pilar aber wusste es, doch sie konnte es nicht ändern. Sie war eine Dirne und würde es
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