Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
schon! Sag ihm, ich bin in einer Viertelstunde fertig! Sage ihm, ich hätte Kopfschmerzen!
„ Ich werde ihm sagen, du hättest deine Tage!"
„ Das tust du nicht!“, fauchte Pilar.
"Wir brauchen das Geld! Ich muss es tun, auch wenn ich nicht will!“
"Mama!“, stieß Evita hervor.
"Was ist denn noch?", fragte die Leona.
"Tut es dir nicht weh, wenn er …“
"Hau ab!“, schrie Pilar und hielt sich die Ohren zu. Dann spuckte sie auf den Spiegel, während Evita bereits die Tür schloss und nach unten ging. In diesem Augenblick betrat ein schlanker Mann die kühle Diele. Er trug einen schneeweißen Anzug und einen Sombrero. Die Krawatte über seinem schwarzen Hemd wirkte originell, elegant und doch grotesk, denn sie zu tragen, war bei dieser Hitze totaler Unsinn. Aber Don Felipe ging nie ohne eine Krawatte aus.
"Buenos dias, Don Felipe!“, grüßte Evita artig, knickste und küsste ihm die Hand. Sie tat dies gedankenlos, denn sie tat es schon eine ganze Weile. Manchmal glaubte sie ihn zu hassen, und ein anderes Mal küsste sie seine Hand aus Dankbarkeit, vor allem dann, wenn sie wieder einmal mit Hunger, Elend und Not in Berührung gekommen war.
"Hola, Evita!", sagte der Mann. Sein Gesicht bestand nur aus Haut und Knochen. Don Felipe trug einen strichschmalen Oberlippenbart, der nicht mehr ganz so schwarz war wie das glatte, kurzgeschnittene und messerscharf gescheitelte Kopfhaar. Der Ausdruck der dunklen Augen wechselte ständig. Einmal funkelten sie lebhaft, wachsam und auch ein wenig gierig, dann war der Blick wieder trübe, müde und teilnahmslos. Jetzt war er wachsam, dieser Blick der kleinen schwarzen Augen.
Don Felipe betrachtete das Mädchen. Er hatte Evita schon oft betrachtet, doch nie hatte er sie in dieser Weise angesehen.
"Du wirst immer hübscher!", sagte er mit seiner öligen Stimme. Evita war hübsch. Sie hatte eine gertenschlanke Figur, einen kleinen festen Busen, dessen Warzen durch den Stoff der weißen Leinenbluse stachen. Don Felipe sah das und er leckte seine schmalen Lippen, die durch den breiten Leberfleck auf der Unterlippe hässlich und abstoßend aussahen.
Evita hatte blauschwarzes Haar, wie ihre Mutter. Auch sie trug es zu einem Knoten geschlungen.
Das machte sie zu einer Kindfrau und gab ihr einen beinahe unwiderstehlichen Reiz. Eine Besonderheit waren Evitas blaue Augen, die sie vermutlich von ihrem unbekannten Vater geerbt hatte, Augen so blau wie die Blütenkaskaden, die die Säulen der Terrasse schmückten. Evitas Augen waren von schwarzen langen und seidig schimmernden Wimpern umkränzt. Die Brauenbögen wölbten sich leicht nach oben und verliehen dem Mädchengesicht einen Hauch von Stolz, Erhabenheit, vielleicht auch Hochmut, wie er der Tochter einer Dirne eigentlich nicht zukam.
"Ja, außergewöhnlich hübsch sogar“, sagte Don Felipe und näherte sich einen Schritt. Der Mann war alt und hatte doch die Geschmeidigkeit eines Panthers. Für Evita jedenfalls war Don Felipe mit seinen fast fünfzig Jahren ein uralter Mann.
"Der alte Bock“, pflegte Pilar manchmal halblaut zu sagen, wenn sie schlecht aufgelegt war.
"Das lederhäutige Stinktier! Die verhungerte Ratte!" Pilar hatte zahlreiche Namen, die sie Don Felipe gab, wenn es niemand hörte. Evita war sicher, dass ihre Mutter diesen Mann bis aufs Blut hasste.
Evita wich zurück.
"Fürchtest du dich vor.mir, Chica?“, fragte Don Felipe und runzelte die Stirn.
"Aber nein, Don Felipe!" rief Evita lachend aus. Sie hatte das Schauspielern von ihrer Mutter gelernt. Die schlechteste Komödie war manchmal die beste. "Ich bringe Ihnen Wein. Ein wenig Wasser dazu?" fragte sie.
Ärgerlich holte Don Felipe ein silbernes Zigarrenetui hervor. Er rauchte lange, dünne und ganz schwarze Zigarillos, die für die armen Leute hier unerschwinglich waren. Er blies den Rauch langsam aus und sah ihm nach, denn er bildete bizarre Formen im streifigen Sonnenlicht, das durch die Lamellen der Fensterläden hereinfiel.
"Mama kommt gleich!", erklärte Evita.
"Ich habe es nicht eilig“, sagte Don Felipe und setzte sich in einen der schweren Sessel. die er aus seiner Hacienda in dieses Liebesnest hatte schaffen lassen. Alles hier stammte von ihm, jeder Teller, jeder Nagel und jedes Bild, das von einem solchen gehalten wurde. Nur die Luft, die von draußen kam, stammte nicht von ihm. Auch der Wein, den er nun trank, kam von seinem Besitz.
Don Felipe hatte die Beine übereinandergeschlagen, nun sah man das Ausgemergelte seiner
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