Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
einer, der bleiben wird«, sagte Martin Silenus und deutete auf den flachen Hügel jenseits des Flusses im Süden. »Der olle weinende William Rex, Gott sei seiner sündigen Seele gnädig.« Das gemeißelte Gesicht des Traurigen Königs Billy war gerade noch im leichten Nieselregen und der zunehmenden Dunkelheit zu erkennen. »Ich habe ihn gekannt, Oratio«, sagte der betrunkene Dichter. »Ein Mann endloser Scherze. Und nicht einer davon war komisch. Ein echtes Arschloch, Horatio.«
Sol Weintraub stand im Innern des Schiffes, schirmte sein Baby vor dem Regen ab und ließ es abseits der Unterhaltung weinen. Er deutete hinaus. »Es kommt jemand.«
Ein Bodenfahrzeug mit feuerfestem Polymerschutzanstrich und ein militärisches EMV, dessen Hover-Rotoren dem schwachen Magnetfeld von Hyperion angepaßt worden waren, überquerten den feuchten gestampften Boden.
Martin Silenus wandte den Blick nicht vom drögen Antlitz des Traurigen Königs Billy und sagte in einer Stimme, die so leise war, daß man sie kaum hören konnte:
»Deep in the shady sadness of a vale
Far sunken from the healthy breath of morn,
Far from the fiery noon, and eve's one star,
Sat gray-hair'd Saturn, quiet as a stone,
Still as the silence round about his lair;
Forest on forest hung above his head
like cloud on cloud ...
»Tief in der schattigen Schwermut eines Tals
Versenkt fern von des Morgens starkem Atem
Vom Mittagsbrand und Abends einem Stern
Saß grau von Haar Saturn, still wie ein Stein,
Still wie das Schweigen um sein Lager her.
Forst über Forst hing ihm rund um sein Haupt
Wie Wölk an Wölk ...«
Aus: John Keats: GEDICHTE, in Übertragung von Alexander von Bernus,
Karlsruhe/Leipzig 1911, Dreililien-Verlag, S. 79.
Pater Hoyt kam auf den Balkon und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. Seine Augen waren groß und verschwommen – wie ein Kind, das von seinem Schläfchen aufgestanden war. »Sind wir da?« fragte er.
»Aye, verdammt«, schrie Martin Silenus und gab dem Oberst das Fernglas zurück. »Gehen wir nach unten und begrüßen wir die Gendarmen!«
Der junge Leutnant der Marines schien auch dann nicht von der Gruppe beeindruckt zu sein, als er die Befugnissiegelmarke gesehen hatte, die Het Masteen ihnen im Namen des Befehlshabers weitergegeben hatte. Der Leutnant nahm sich Zeit, ihre Visachips zu studieren, ließ sie im Nieselregen warten und gab gelegentlich eine Bemerkung mit der müßigen Arroganz eines Niemands von sich, der gerade ein kleines bißchen Macht bekommen hat. Dann bekam er den Chip von Fedmahn Kassad und sah mit dem Ausdruck eines überraschten Wiesels auf. »Oberst Kassad!«
»Im Ruhestand«, sagte Kassad.
»Tut mir leid, Sir«, sagte der Leutnant, der über die eigenen Worte stolperte, während er sich beeilte, allen die Visas zurückzugeben. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie zu dieser Gruppe gehören, Sir. Das heißt ... der Captain hat nur gesagt ... ich meine ... mein Onkel war mit Ihnen auf Bressia, Sir. Ich meine, es tut mir leid ... wenn ich oder meine Männer etwas für Sie tun können ...»
»Ruhig, Leutnant«, sagte Kassad. »Gibt es eine Möglichkeit, ein Transportmittel in die Stadt zu bekommen?«
»Äh ... nun, Sir ...« Der junge Mann wollte sich am Kinn reiben, dann fiel ihm ein, daß er den Helm aufhatte. »Ja, Sir. Aber das Problem ist, Sir, die Menge kann ziemlich ungemütlich werden und ... nun, die verdammten EMVs funktionieren einen Scheißdreck auf diesem ... äh, pardon, Sir. Sehen Sie, der Bodenverkehr ist auf Frachtgut beschränkt, und wir haben erst um 22.00 Uhr Gleiter frei, die den Stützpunkt verlassen können, aber ich setze Ihre Gruppe gern auf den Dienstplan ...«
»Augenblick«, sagte der Konsul. Ein verbeulter Passagiergleiter mit dem auf einer Schubdüse aufgemalten goldenen Geodät der Hegemonie war zehn Meter entfernt gelandet. Ein großer, magerer Mann stieg aus. »Theo!« rief der Konsul.
Die beiden Männer gingen aufeinander zu, streckten die Hände zur Begrüßung aus, umarmten einander dann aber statt dessen. »Verdammt«, sagte der Konsul, »du siehst gut aus, Theo.« Das stimmte. Sein ehemaliger Attaché war um runde sechs Jahre zum Konsul aufgerückt, aber der jüngere Mann hatte immer noch das knabenhafte Lächeln, das schmale Gesicht und das dichte rote Haar, die jede unverheiratete Frau – und nicht wenige verheiratete dazu – im Stab des Konsulats fasziniert hatten. Die Schüchternheit, die zu Theo Lanes Schwächen gehört
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