Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
gelegenen Ozeans. Gegen Abend, als das graue Tageslicht in graue Dämmerung überging, erschütterte ein zweifacher Überschallknall die Stadt und hallte von dem Berggipfel im Süden wider. Die Wolken glühten blauweiß. Eine halbe Minute später brach der graue Rumpf eines Ebenholzraumschiffs durch die Wolkenschicht und sank mit rot und grün blitzenden Navigationslichtern auf einer Säule Fusionsflammen herab.
Bei eintausend Metern leuchteten die Landefanale des Raumschiffs auf, drei Strahlen gebündelten Lichts vom Raumhafen nördlich der Stadt schlössen das Schiff zum Willkommen in einen rubinroten Dreifuß ein. Das Raumschiff schwebte in dreihundert Metern Höhe, glitt so mühelos zur Seite wie ein Krug auf einer nassen Theke und sank dann schwerelos in eine wartende Rückstoßgrube.
Hochdruckwasserstrahlen ergossen sich über Grube und Heck des Schiffs und stoben als Dampfwolken empor, die sich mit den Nieselregenvorhängen vereinten, welche über die gepflasterte Fläche des Raumhafengeländes wehten. Als die Wasserdüsen zu speien aufhörten, war nur noch das Flüstern des Regens und das gelegentliche Knacken des abkühlenden Raumschiffs zu hören.
Zwanzig Meter über der Grubenmauer fuhr ein Balkon aus dem Schott des Schiffes. Fünf Gestalten traten heraus. »Danke für den Flug, Sir«, sagte Oberst Kassad zum Konsul.
Der Konsul nickte, beugte sich über das Geländer und atmete mit tiefen Zügen die frische Luft ein. Regentropfen perlten auf seinen Schultern und Augenbrauen.
Sol Weintraub nahm sein Baby aus dem Tragegurt. Veränderungen des Luftdrucks, der Temperatur, des Geruchs, von Bewegungen, der Geräuschkulisse oder eine Mischung aus allem hatten das Mädchen aufgeweckt, und nun weinte es nach Herzenslust. Weintraub wiegte es und beschwichtigte es, aber das Weinen hörte nicht auf.
»Ein angemessener Kommentar zu unserer Ankunft«, sagte Martin Silenus. Der Dichter trug ein langes purpurnes Cape und ein rotes Barett, das bis auf die rechte Schulter reichte. Er trank einen Schluck aus dem Weinglas, das er aus dem Aufenthaltsraum mit herausgebracht hatte. »Christus am Kreuz, dieser Ort hat sich verändert.«
Der Konsul, der nur acht hiesige Jahre fort gewesen war, mußte zustimmen. Als er in Keats lebte, war der Raumhafen volle neun Klicks von der Stadt entfernt gewesen; jetzt umgaben Schuppen, Zelte und Lehmstraßen die Grenze des Landefelds. Zu Zeiten des Konsuls war nicht mehr als ein Schiff pro Woche auf dem winzigen Raumhafen gelandet; jetzt zählte er mehr als zwanzig Raumfahrzeuge auf dem Gelände. Das kleine Verwaltungs- und Zollabfertigungsgebäude war einer größeren Fertigbaustruktur gewichen, ein Dutzend neue Rückstoßgruben und Landungsbootrampen waren im Westen in Verlängerung des Geländes angebaut worden, und an den Grenzen standen Dutzende mit Schutzanstrichen überzogene Module, in denen sich, wie der Konsul wußte, von Bodenkontrollstationen bis zu Soldatenunterkünften alles Mögliche befinden mußte. Ein Wald exotischer Antennen wuchs aus einer Gruppe dieser Container am entgegengesetzten Ende des Landefelds himmelwärts.
»Fortschritt«, murmelte der Konsul.
»Krieg«, sagte Oberst Kassad.
»Da sind Menschen«, sagte Brawne Lamia und deutete zum Haupttor des Terminals an der Südseite des Felds. Eine Flut verwaschener Farben drängte wie stumme Brandung gegen den äußeren Zaun und das violette Schutzfeld.
»Mein Gott«, sagte der Konsul, »Sie haben recht.«
Kassad holte das Fernglas hervor, worauf sie nacheinander einen Blick auf die Tausende von Gestalten warfen, die am Draht zerrten und sich gegen das Abwehrfeld drückten.
»Warum sind sie hier?« fragte Lamia. »Was wollen sie?« Selbst auf einen halben Kilometer Entfernung war die hirnlose Willenskraft des Mobs beängstigend. Dunkle Gestalten von FORCE:Marines waren als Wachen entlang der Begrenzung zu erkennen. Dem Konsul wurde klar, daß ein Streifen kahlen Bodens zwischen dem Drahtzaun, dem Abwehrfeld und den Marines mit ziemlicher Sicherheit auf Minenfelder oder Todesstrahlen oder beides hindeutete.
»Was wollen sie?« wiederholte Lamia.
»Sie wollen fort«, sagte Kassad.
Noch bevor der Oberst gesprochen hatte, war dem Konsul klar geworden, daß die Zeltstadt um den Raumhafen und der Mob an den Toren unvermeidlich waren; das Volk von Hyperion war zur Abreise bereit. Er überlegte sich, daß jedesmal, wenn ein Schiff landete, ein derartiger stummer Ansturm auf die Tore erfolgen mußte.
»Nun, dort ist
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