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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schrecklicher Baum der Dornen fünf Kilometer hoch in einen blutroten Himmel ragte. Menschliche Gestalten wanden sich auf den vielen Dornen und Zweigen: die in der Nähe deutlich sichtbar menschlich und unter Qualen, die weiter entfernten durch die Distanz zwergenhaft, bis sie wie Dolden blasser Trauben aussahen.
    Kassad blinzelte und holte unter der Oberfläche seines quecksilberartigen Hautanzugs tief Luft. Er sah sich um, an der schweigenden Gestalt von Moneta vorbei, wobei er den Blick von der Obszönität des Baums losreißen mußte.
    Was er für eine lunare Ebene gehalten hatte, war die Oberfläche von Hyperion am Eingang zum Tal der Zeitgräber, aber ein schrecklich verwandeltes Hyperion. Die Dünen waren erstarrt und verformt, als wären sie bombardiert und zu Glas geschmolzen worden; die Felsblöcke und Klippen waren ebenfalls geschmolzen und wie Gletscher hellen Gesteins gefroren. Eine Atmosphäre gab es nicht mehr – der Himmel war schwarz und wies die einhellige, unbarmherzige Klarheit eines luftleeren Monates auf. Die Sonne war nicht die von Hyperion; das Licht entsprach keiner menschlichen Erfahrung. Kassad blickte auf, und die Sichtfilter seines Hautanzugs polarisierten, um die schrecklichen Energien erträglich zu machen, die den Himmel mit blutroten Bändern und Blumen grellweißen Lichts überzogen.
    Unter ihm schien das Tal wie unter nicht spürbarem Beben zu erzittern. Die Zeitgräber leuchteten von innerer Energie, aus jedem Eingang, jedem Portal und jeder Öffnung wurden weiße Blitze kalten Lichts viele Meter über den Talboden geschleudert. Die Gräber sahen neu, poliert und glänzend aus.
    Kassad wurde klar, daß lediglich der Hautanzug dafür sorgte, daß er atmen konnte und seine Haut vor der lunaren Kälte schützte, die die Wüstenwärme verdrängt hatte. Er drehte sich zu Moneta um, versuchte eine intelligente Frage zu formulieren, schaffte es nicht und blickte wieder zu dem unmöglichen Baum auf.
    Der Dornenbaum schien aus demselben Chrom und Edelstahl zu bestehen wie das Shrike selbst: eindeutig künstlich und dennoch gleichzeitig auf gräßliche Weise organisch. Der Stamm war zwei- oder dreihundert Meter dick, wo er seinen Ursprung hatte, die unteren Äste fast ebenso breit, aber die kleineren Zweige und Dornen verjüngten sich bald zu dolchartigen Spitzen, während sie mit ihrer gräßlichen Last menschlicher Früchte himmelwärts strebten.
    Es war unmöglich, daß derart aufgespießte Menschen so lange überleben konnten; doppelt unmöglich, daß sie im Vakuum dieses Ortes außerhalb von Raum und Zeit existierten. Und dennoch überlebten und litten sie. Kassad sah, wie sie sich krümmten und wanden. Alle waren am Leben. Und alle litten Höllenqualen.
    Kassad bemerkte ihren Schmerz als gewaltigen Lärm jenseits des Hörens, ein riesiges, unablässiges Nebelhorn der Qual, als würden Tausende unkundige Finger auf Tausende Tasten fallen und so eine gewaltige Orgel der Qual spielen. Der Schmerz war so greifbar, daß er den flammenden Himmel absuchte, als wäre der Baum ein Scheiterhaufen oder ein riesiges Fanal, dessen Wellen des Schmerzes deutlich sichtbar sein müßten.
    Er erblickte lediglich das grelle Licht der lunaren Stille.
    Kassad steigerte die Vergrößerung seiner Anzugssichtlinsen und blickte von Zweig zu Zweig, von Dorn zu Dorn. Die Menschen, die sich dort wanden, waren beiderlei Geschlechts und aus allen Altersschichten. Sie trugen eine Vielfalt zerrissener Kleidungsstücke und unordentlicher Frisuren, die viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte der Mode überspannten. Viele Stile waren Kassad unbekannt, und er ging davon aus, daß er Opfer aus seiner eigenen Zukunft sah. Es waren Tausende ... Zehntausende ... Opfer. Alle lebten. Alle litten.
    Kassad hielt inne, konzentrierte sich auf einen Zweig vierhundert Meter über dem Boden, auf eine Gruppe Leiber weit vom Stamm entfernt, auf einen einzelnen, drei Meter langen Stachel, auf dem sich ein altbekanntes purpurnes Cape bauschte. Die Gestalt dort wand sich und zuckte und drehte sich zu Fedmahn Kassad um.
    Er sah die gepfählte Gestalt von Martin Silenus vor sich.
    Kassad fluchte und ballte die Fäuste, bis die Knochen seiner Hände weh taten. Er sah sich nach seinen Waffen um und drehte die Vergrößerung hoch, damit er in den Kristallmonolithen sehen konnte. Da war nichts.
    Oberst Kassad schüttelte den Kopf, als ihm klar wurde, daß der Hautanzug eine bessere Waffe als alle war, die er nach Hyperion mitgebracht hatte,

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