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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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das Schiff des Konsuls noch kommen.«
    Aber am Spätnachmittag war das Schiff immer noch nicht eingetroffen. Es war nicht da, als das letzte Tageslicht von Hyperions kleiner Sonne auf die Felswand schien und die Schatten Sol auf der obersten Stufe der Sphinx fanden. Es kam nicht, als das Tal in Schatten versank.
    Rachel war keine dreißig Minuten vor diesem Augenblick geboren worden. Sol sah nach der Windel, stellte fest, daß sie trocken war, und fütterte das Baby mit dem letzten Nahrungspack. Beim Essen sah sie mit großen, dunklen Augen zu ihm auf und schien in seinem Gesicht zu suchen. Sol erinnerte sich an die ersten Minuten, als er sie gehalten hatte, während Sarai sich unter warmen Decken von der Entbindung ausruhte; damals hatten die Augen des Babys mit demselben fragenden und fassungslosen Blick ob dieser sonderbaren Welt in seine geblickt.
    Der Abendwind brachte Wolken mit sich, die sich zunehmend über dem Tal zusammenbrauten. Das Grollen im Südwesten ertönte anfangs wie vereinzelte Donnerschläge, dann mit der ekelerregenden Regelmäßigkeit von Artillerie, wahrscheinlich Kern- oder Plasmaexplosionen in fünfhundert Klicks Entfernung oder mehr im Süden. Sol suchte den Himmel zwischen den dunklen Wolken ab und erblickte feurige Meteorspuren, die weißleuchtend vorbeizogen: ballistische Flugkörper oder Landungsboote. So oder so Tod für Hyperion.
    Sol achtete nicht darauf. Er sang Rachel leise etwas vor, während diese ihre Mahlzeit beendete. Er war zum Ende des Tals gegangen, aber jetzt kehrte er langsam zur Sphinx zurück. Die Gräber leuchteten wie niemals zuvor und erglühten im kalten Licht ionisierten Neons. Oben verwandelten die letzten Sonnenstrahlen die Wolken in eine Decke pastellfarbener Flammen.
    Keine drei Minuten blieben mehr bis zur letzten Feier von Rachels Geburt. Selbst wenn das Schiff des Konsuls jetzt eingetroffen wäre, wußte Sol, hätte er keine Zeit mehr gehabt, an Bord zu gelangen oder sein Kind in den kryonischen Schlaf zu versetzen.
    Er wollte es auch nicht mehr.
    Sol ging langsam die Treppen zur Sphinx hinauf und mußte daran denken, daß Rachel vor sechsundzwanzig Jahren ebenfalls hierher gekommen war, ohne das Schicksal zu ahnen, das in dieser dunklen Krypta auf sie wartete.
    Er verweilte auf der obersten Stufe und holte tief Luft. Das Licht der Sonne war fast greifbar, erfüllte den Himmel und entzündete die Schwingen und die obere Masse der Sphinx. Das Grab selbst schien das Licht freizusetzen, das es gespeichert hatte, wie die Felsen in der Wüste von Hebron, wo Sol vor Jahren in die Wildnis gewandert war, um Erleuchtung zu suchen und lediglich Kummer zu finden. Die Luft selbst flimmerte im Licht, und der Wind nahm zu, wehte Sand über den Talboden und gab ihn wieder frei.
    Sol sank auf der obersten Stufe auf ein Knie und zog Rachels Decke herunter, bis das Kind lediglich die weiche Baumwollkleidung eines Neugeborenen trug. Weite Kleidung.
    Rachel krümmte die Händchen. Ihr Gesicht war purpurn und feucht, die Hände winzig und von der Anstrengung des Ballens und Öffnens gerötet. Sol wußte, daß sie genauso ausgesehen hatte, als der Arzt ihm das Kind gereicht und er seine neugeborene Tochter betrachtet hatte, wie er sie jetzt betrachtete, bevor er sie auf Sarais Bauch gelegt hatte, damit ihre Mutter sie auch sehen konnte.
    »O Gott«, hauchte Sol, ließ sich auch auf das andere Knie sinken und kniete wahrhaftig.
    Das ganze Tal erzitterte wie bei einem Erdbeben. Sol nahm vage die Explosionen wahr, die im Süden andauerten. Aber wichtiger war jetzt das schreckliche Leuchten der Sphinx. Sols Schatten fiel fünfzig Meter hinter ihn über die Treppe und den Talboden, während das Grab in Licht erstrahlte und pulsierte. Aus den Augenwinkeln konnte Sol erkennen, daß die anderen Gräber ebenso leuchteten – riesige, barocke Reaktoren in den letzten Sekunden vor der Kernschmelze.
    Der Eingang der Sphinx pulsierte blau, dann violett, dann unerträglich weiß. Hinter der Sphinx, auf dem Wall des Plateaus über dem Tal der Zeitgräber, tauchte flimmernd ein unmöglicher Baum auf, dessen Stamm und Äste aus scharfkantigem Stahl in die leuchtenden Wolken und noch höher emporragten. Sol warf einen raschen Blick hin, sah die drei Meter langen Dornen und die gräßlichen Früchte, die sie trugen, dann schaute er wieder zum Eingang der Sphinx.
    Irgendwo heulte der Wind, und Donner grollte. Irgendwo wehte karmesinroter Staub wie Schwaden trockenen Blutes im schrecklichen Licht der

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