Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
ich, und gegen Abend finden wir ein Gasthaus, wo der Tisch für uns gedeckt ist – Fasan, Reispudding, Blumenkohl, eine Schüssel Makkaroni, und so weiter –, aber Menschen sind keine da, auch keine Spur von Menschen, abgesehen vom Feuer im Herd, das lodert, als wäre es gerade angezündet worden, und dem Essen, das noch warm auf der Platte steht.
Hunt ist gereizt – deswegen und wegen den schrecklichen Entzugssymptomen, die der fehlende Kontakt zur Datensphäre bei ihm verursacht. Ich kann mir seine Qualen vorstellen. Für eine Person, die in eine Welt hineingeboren wurde, wo Informationen andauernd zur Verfügung stehen, Kommunikation mit jedwedem selbstverständlich ist und sich kein Ort weiter als einen Farcasterschritt entfernt befindet, ist dieser plötzliche Rückfall in das Leben, das unsere Vorfahren geführt haben, als würde man plötzlich blind und verkrüppelt erwachen. Nach dem Wüten und Toben der ersten Stunden unseres Fußmarschs versinkt Hunt schließlich in verdrossenes Schweigen.
»Aber die Präsidentin braucht mich!« hatte er während der ersten Stunde geschrien.
»Sie braucht die Informationen, die ich ihr bringen wollte«, sagte ich, »aber da kann man nichts machen.«
»Wo sind wir?« verlangte Hunt zum zehnten Mal zu wissen.
Ich hatte ihm das mit der alternativen Alten Erde schon erklärt, wußte aber, daß er jetzt etwas anderes meinte.
»Quarantäne, glaube ich«, sagte ich.
»Der Core hat uns hierher gebracht?« herrschte er mich an.
»Ich kann es nur vermuten.«
»Wie kommen wir zurück?«
»Ich weiß nicht. Ich denke, wenn sie sicher sind, daß sie uns aus der Quarantäne entlassen können, wird ein Farcasterportal auftauchen.«
Hunt fluchte leise. »Warum bin ich unter Quarantäne, Severn?«
Ich zuckte die Achseln. Ich vermutete, weil er gehört hatte, was ich auf Pacem sagte, war aber nicht sicher. Ich war in überhaupt nichts mehr sicher.
Die Straße führte durch Wiesen, Weinberge, über flache Hügel und durch Täler, wo man Blicke auf das Meer erhaschen konnte.
»Wohin führt diese Straße?« wollte Hunt wissen, bevor wir das Gasthaus erreichten.
»Alle Wege führen nach Rom.«
»Es ist mein Ernst, Severn.«
»Meiner auch, M. Hunt.«
Hunt hob einen lockeren Stein vom Boden auf und warf ihn weit ins Gebüsch. Irgendwo schrie eine Drossel.
»Waren Sie schon einmal hier?« Hunts Stimme klang vorwurfsvoll, als hätte ich ihn hergeschleppt. Was vielleicht zutraf.
»Nein«, sagte ich. Aber Keats, hätte ich fast hinzugefügt. Meine Transplantaterinnerungen drangen zur Oberfläche und überwältigten mich fast mit ihrem Eindruck von Verlust und bevorstehendem Tod. So weit entfernt von seinen Freunden, so weit entfernt von Fanny, seiner einzigen ewigen Liebe.
»Sicher, daß Sie sich nicht in die Datensphäre einklinken können«, sagte Hunt.
»Ganz sicher«, antwortete ich. Er fragte nicht nach der Megasphäre, und ich sagte ihm nichts davon. Ich habe Todesangst davor, in die Megasphäre einzudringen, mich dort zu verirren.
Wir fanden das Gasthaus kurz vor Sonnenuntergang. Es lag in einem kurzen Tal, Rauch stieg aus einem Kamin auf.
Beim Essen schien die Dunkelheit gegen die Scheiben zu drängen, unser einziges Licht kam vom Herdfeuer und zwei Kerzen auf dem Steinsims, und Hunt sagte: »Hier könnte ich fast an Gespenster glauben.«
»Ich glaube an Gespenster«, sagte ich.
Nacht. Ich erwache hustend, spüre Nässe auf der nackten Brust, höre Hunt mit den Kerzen hantieren und sehe in deren Licht Blut auf meiner Haut und dem Bettlaken.
»Mein Gott«, haucht Hunt entsetzt. »Was ist das? Was geht hier vor?«
»Blutsturz«, bringe ich heraus, nachdem der nächste Hustenanfall mich noch mehr geschwächt und mehr Blut zutage gefördert hat. Ich will aufstehen, sinke aufs Kissen zurück und deute zu Wasserschüssel und Handtuch auf der Kommode.
»Verdammt, verdammt«, murmelt Hunt und sucht nach meinem Komlog, um einen MedAbruf zu machen. Er findet kein Komlog. Ich habe Hoyts nutzloses Instrument im Lauf des Fußmarschs weggeworfen.
Hunt nimmt das eigene Komlog ab, justiert den Monitor und legt es um mein Handgelenk. Die Anzeigen sagen ihm nichts, davon abgesehen, daß dringende medizinische Hilfe erforderlich ist. Wie die meisten Menschen seiner Generation, hatte Hunt noch nie Krankheit oder Tod gesehen – das waren Angelegenheiten für Fachleute, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit geregelt wurden.
»Unwichtig«, flüstere ich; der Hustenanfall ist
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