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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Hoffnung gekappt. Irgendwann nach ihrem zweiten Geburtstag brachte Sol sie ins Bett, blieb in der Tür stehen und sagte: »Later, alligator.«
    »Hm?«
    »See you later, alligator.«
    Rachel kicherte.
    »Du sagst: ›ln a while, crocodile‹«, sagte Sol. Er erklärte ihr, was ein Alligator und ein Krokodil waren.
    »In a while, Okodeil«, kicherte Rachel.
    Am nächsten Morgen hatte sie es vergessen.
     
    Sol nahm Rachel mit sich auf seinen Reisen durch das Netz – ohne sich noch um die Reporter zu kümmern –, auf denen er die Kirche des Shrike um das Pilgerrecht bat, im Senat um ein Visum und Zugang zu den verbotenen Zonen auf Hyperion ersuchte und jedes Forschungsinstitut und jede Klinik abklapperte, die eine Heilmethode finden konnten. Monate vergingen, in denen weitere Ärzte ihre Ratlosigkeit eingestanden. Als er nach Hebron zurückkehrte, war Rachel fünfzehn Standardmonate alt; in den alten Maßen, die auf Hebron verwendet wurden, wog sie fünfundzwanzig Pfund und maß dreißig Zoll. Sie konnte sich nicht mehr selber anziehen. Ihr Wortschatz bestand aus fünfundzwanzig Worten; ihre Lieblingsworte waren »Mommy« und »Daddy«.
     
    Sol liebte es, seine Tochter zu tragen. Manchmal ermöglichten ihm die Rundung ihres Köpfchens an seiner Wange, ihre
Wärme an seiner Brust und der Geruch ihrer Haut, vorübergehend zu vergessen, wie ungerecht alles war. In diesen Momenten wäre Sol mit sich und dem Universum zufrieden gewesen, hätte er Sarai bei sich gehabt. So bildeten sie nur gelegentliche Feuerpausen in seinem wütenden Dialog mit einem Gott, an den er nicht glaubte.
    – Welchen Grund kann es dafür geben?
    – Welchen ersichtlichen Grund gab es für alle Formen von Leid, die die Menschheit erdulden musste?
    – Genau, dachte Sol und fragte sich, ob er gerade zum ersten Mal einen Punkt gemacht hatte. Er bezweifelte es.
    – Die Tatsache, dass etwas nicht sichtbar ist, bedeutet nicht, dass es nicht existiert.
    – Das ist umständlich. Man sollte nicht dreimal »nicht« verwenden müssen, um eine Aussage zu machen. Besonders, um etwas so Banales wie das zu sagen.
    – Ganz genau, Sol. Allmählich kommst du hinter den Sinn des Ganzen.
    – Was?
    Auf diesen Gedanken erfolgte keine Antwort. Sol lag in seinem Haus und hörte den Wüstenwind wehen.
     
    Rachels letztes Wort, das sie aussprach, als sie etwas über fünf Monate alt war, war »Mamma«.
    Sie wachte in ihrer Krippe auf und fragte nicht – konnte nicht fragen –, wo sie war. Ihre Welt bestand aus Mahlzeiten, Schläfchen, Spielsachen. Wenn sie manchmal weinte, fragte sich Sol, ob sie nach ihrer Mutter weinte.
    Sol kaufte in den kleinen Geschäften der Stadt ein und nahm das Baby mit sich, wenn er Windeln, Fläschchen und ab und zu ein Spielzeug aussuchte.
    In der Woche, bevor Sol nach Tau Ceti Center aufbrach, kamen Ephraim und die beiden anderen Ältesten zu einem Gespräch
zu ihm. Es war Abend, das erlöschende Licht glomm auf Ephraims Kahlkopf. »Sol, wir machen uns Sorgen um Sie. Die nächsten paar Wochen werden schlimm. Die Frauen möchten Ihnen helfen. Wir möchten Ihnen helfen.«
    Sol legte dem älteren Mann die Hand auf den Unterarm. »Vielen Dank, Ephraim. Für alles in den letzten Jahren. Dies ist jetzt auch unsere Heimat. Sarai hätte gewollt, dass ich mich bei Ihnen bedanke. Aber wir brechen am Sonntag auf. Rachel wird es bald besser gehen.«
    Die drei Männer auf der langen Bank sahen einander an. Avner sagte: »Haben Sie ein Heilmittel gefunden?«
    »Nein«, sagte Sol. »Aber ich habe Grund zu hoffen gefunden.«
    »Hoffnung ist gut«, sagte Robert mit zurückhaltendem Tonfall.
    Sol grinste, sodass sich seine Zähne weiß vor dem grauen Bart abhoben. »Sollte sie auch sein«, sagte er. »Manchmal haben wir nicht mehr.«
     
    Die Holokamera des Studios zoomte auf eine Großaufnahme von Rachel, als das Kind im Studio von Common Talk in Sols Arm lag. »Sie sagen also«, meinte Devon Whiteshire, Gastgeber der Show und drittbekanntestes Gesicht in der Datensphäre des Netzes, »dass die Weigerung der Kirche des Shrike, Sie zu den Zeitgräbern zurückkehren zu lassen … und das Zögern der Hegemonie, Ihnen ein Visum zu erteilen … dass das alles Ihr Kind zu dieser … Auslöschung verurteilt?«
    »Genau«, erwiderte Sol. »Die Reise nach Hyperion lässt sich nicht in weniger als sechs Wochen bewerkstelligen. Rachel ist jetzt zwölf Wochen alt. Jede weitere Verzögerung durch die Kirche des Shrike oder die Bürokratie des Netzes

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