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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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werden dieses Kind umbringen.«

    Das Studiopublikum wurde unruhig. Devon Whiteshire drehte sich zur nächsten Kamera um. Sein runzliges, freundliches Gesicht füllte den ganzen Monitor aus. »Dieser Mann weiß nicht, ob er sein Kind retten kann«, sagte Whiteshire, in dessen Stimme deutlich subtile Gefühlsregungen mitschwangen, »er möchte nur eine Chance. Finden Sie, dass er – und das Baby – eine verdient haben? Wenn ja, wählen Sie Ihren planetaren Repräsentanten und den nächstgelegenen Shrike-Tempel an. Die Nummer Ihres nächstgelegenen Tempels müsste jetzt eingeblendet werden.« Er drehte sich wieder zu Sol um. »Wir wünschen Ihnen Glück, M. Weintraub. Und …« Whiteshires große Hand berührte Rachels Wange »… wir wünschen dir Gottes Segen, meine kleine Freundin.«
    Das Monitorbild zeigte Rachel, bis sie ausgeblendet wurde.
     
    Der Hawking-Effekt verursachte Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und Halluzinationen. Der erste Abschnitt der Reise bestand aus dem zehntägigen Transit nach Parvati an Bord des Hegemonieflaggschiffs HS Intrepid.
    Sol hielt Rachel und erduldete alles. Sie waren die einzigen Menschen an Bord des Kriegsschiffs, die bei Bewusstsein waren. Anfangs weinte Rachel, aber nach ein paar Stunden lag sie ruhig in Sols Armen und sah mit großen, dunklen Augen zu ihm auf. Sol erinnerte sich an den Tag ihrer Geburt – die Ärzte hatten das Kind von Sarais Bauch genommen und Sol in die Arme gegeben. Rachels dunkles Haar war damals nicht viel kürzer gewesen, der Blick nicht weniger anrührend.
    Schließlich schlief er vor Erschöpfung ein.
    Sol träumte, dass er durch ein großes Bauwerk mit Säulen so hoch wie Rotholzbäume und einer Decke lief, die in den Höhen über ihm verschwand. Rotes Licht erhellte kalte Leere. Er stellte überrascht fest, dass er Rachel noch auf dem Arm hatte. Rachel als Kind war noch nie in seinem Traum vorgekommen.
Das Baby sah zu ihm auf, und Sol spürte den Kontakt ihres Bewusstseins so sicher, als hätte sie laut gesprochen.
    Plötzlich hallte eine andere, gewaltige und kalte Stimme durch die Leere:
    »Sol! Nimm deine Tochter, deine einzige Tochter Rachel, die du liebst, und geh zu der Welt genannt Hyperion und bringe sie an dem Ort, den ich dir zeigen werde, als Brandopfer dar!«
    Sol zögerte und sah zu Rachel. Die Augen des Babys waren tief und leuchtend, als sie ihren Vater ansah. Sol spürte das unausgesprochene Ja. Er drückte sie fest an sich, machte einen Schritt in die Dunkelheit und rief mit lauter Stimme in die Stille:
    »Hör zu! Es gibt keine Opfer mehr, weder Kinder noch Eltern. Keine Opfer mehr für niemand außer unsere Mitmenschen. Die Zeit des Gehorsams und der Buße ist vorbei.«
    Sol lauschte. Er konnte das Klopfen seines Herzens und Rachels Wärme am Arm spüren. Von hoch über ihm ertönte das kalte Pfeifen des Windes in unsichtbaren Rissen. Er legte die Hände an den Mund und rief:
    »Das ist alles! Und jetzt lass uns allein oder komm als Vater zu uns, nicht als Empfänger von Opfern. Du hast die Wahl Abrahams!«
    Rachel regte sich in seinen Armen, als ein Grollen aus dem Steinboden ertönte. Säulen vibrierten. Das rote Leuchten wurde dunkler und erlosch; Dunkelheit herrschte. Aus weiter Ferne ertönte das Dröhnen gewaltiger Schritte. Sol drückte Rachel an sich, als ein heftiger Wind zu wehen begann.

    Ein Lichtschimmer war zu sehen, als er und Rachel an Bord der HS Intrepid erwachten, die nach Parvati reiste, wo sie auf das Baumschiff Yggdrasil überwechseln und zu dem Planeten Hyperion weiterreisen sollten. Sol lächelte seiner sieben Wochen alten Tochter zu. Sie lächelte zurück.
    Es war ihr letztes und ihr erstes Lachen.
     
    In der Hauptkabine des Windwagens herrschte Schweigen, als der alte Gelehrte seine Geschichte beendet hatte. Sol räusperte sich und trank einen Schluck Wasser aus einem Kristallkelch. Rachel schlief in der behelfsmäßigen Krippe der offenen Schublade. Der Windwagen wiegte sich sacht während der Fahrt, das Rumpeln des großen Rads und das Summen des Hauptkreisels bildeten ein einschläferndes Hintergrundgeräusch.
    »Mein Gott«, sagte Brawne Lamia leise. Sie wollte noch etwas sagen, doch dann schüttelte sie nur den Kopf.
    Martin Silenus schloss die Augen und sagte:
    »Bedenk ich, dass, wenn aller Hass verjagt,
Die Seele tiefste Unschuld wieder hat
Und endlich weiß, dass sie sich selbst entzückt,
Sich selbst besänftigt, selbst erschreckt,
Des Himmels Wille stimmt mit ihrem überein;

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