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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Süße. Bin gleich wieder da.«
    Das Holo, das sich in der Nische bildete, zeigte einen Mann, den Sol noch nie gesehen hatte. Er aktivierte seinen eigenen Bildgenerator nicht, weil er den Anrufer wieder loswerden wollte. »Ja?«, sagte er knapp.
    »M. Weintraub? M. Weintraub, der auf Barnards Welt gelebt hat und derzeit im Dorf Dan auf Hebron?«
    Sol wollte unterbrechen, dann hielt er inne. Ihr Kontaktcode war nicht eingetragen. Ab und zu rief ein Händler aus Neu-Jerusalem
an, aber Anrufe von anderen Welten waren selten. Und, wurde Sol plötzlich klar, während eine kalte Faust seinen Magen umklammerte, es war nach Sonnenuntergang am Sabbat. Da waren nur Notrufholos gestattet.
    »Ja?«, sagte Sol.
    »M. Weintraub«, sagte der Mann und sah blind an Sol vorbei, »es hat einen schrecklichen Unfall gegeben.«
     
    Als Rachel aufwachte, saß ihr Vater neben dem Bett. Er sah müde aus. Seine Augen waren rot, die Wangen grau vor Stoppeln über dem Rand seines Barts.
    »Guten Morgen, Daddy.«
    »Guten Morgen, Süße.«
    Rachel sah sich um und blinzelte. Ein paar von ihren Puppen und Spielsachen und so weiter waren da, aber das Zimmer war nicht ihres. Das Licht war anders. Die Luft war anders. Ihr Daddy sah anders aus. »Wo sind wir, Daddy?«
    »Wir haben eine Reise gemacht, Kleines.«
    »Wohin?«
    »Das ist jetzt nicht so wichtig. Steh auf, Süße. Dein Bad ist fertig, und dann müssen wir uns anziehen.«
    Ein dunkles Kleid, das sie noch nie gesehen hatte, hing über dem Bett. Rachel sah das Kleid an, dann wieder ihren Vater. »Daddy, was ist los? Wo ist Mommy?«
    Sol rieb sich die Wangen. Es war der dritte Morgen seit dem Unfall. Es war der Tag der Beerdigung. Er hatte es ihr die vergangenen Tage jeden Morgen gesagt, weil er sich nicht vorstellen konnte, sie diesbezüglich anzulügen; es schien der größte Verrat – an Sarai und Rachel gleichermaßen. Aber er glaubte nicht, dass er es noch einmal fertigbringen würde. »Sie hat einen Unfall gehabt, Rachel«, sagte er mit schmerzlich krächzender Stimme. »Mommy ist gestorben. Wir gehen ihr heute auf Wiedersehen sagen.« Sol wartete. Er wusste inzwischen, es
würde eine Weile dauern, bis Rachel begriffen hatte, dass ihre Mutter tot war. Am ersten Tag hatte er nicht gewusst, ob eine Vierjährige wirklich begreifen konnte, was der Tod war. Inzwischen wusste er, dass Rachel es konnte.
    Später, als Sol das weinende Kind in den Armen hielt, versuchte er, den Unfall zu verstehen, den er ihr so kurz beschrieben hatte. Die EMVs waren bei Weitem das sicherste Verkehrsmittel, das die Menschheit je entwickelt hatte. Die Schweber konnten nicht ausfallen und selbst wenn, müsste die Restladung im EM-Generator ausreichen, das Luftfahrzeug aus jeder Höhe sicher herunterzubringen. Die narrensichere Kollisionsschutzeinrichtung war seit Jahrhunderten nicht mehr verändert worden. Aber alles hatte versagt. In diesem Fall hatte es sich um ein Teenagerpärchen gehandelt, das einen Ausflug mit einem gestohlenen EMV außerhalb der Verkehrsebenen unternommen und dabei auf Mach 1.5 beschleunigt hatte, ohne Scheinwerfer und Transponder einzuschalten, damit sie nicht entdeckt wurden, und gegen jegliche Wahrscheinlichkeit mit Tante Tethas uraltem Vikken zusammengestoßen war, als dieses sich im Landeanflug auf den Parkplatz der Oper in Bussard City befunden hatte. Außer Sarai und Tetha und den beiden Teenagern kamen bei dem Unfall drei weitere Personen durch herabstürzende Trümmer der Vehikel ums Leben, die ins überfüllte Atrium des Opernhauses geschleudert wurden.
    Sarai.
    »Werden wir Mommy je wiedersehen?«, fragte Rachel schluchzend. Das hatte sie jedes Mal gefragt.
    »Ich weiß nicht, Süße«, antwortete Sol wahrheitsgemäß.
     
    Die Beerdigung fand auf dem Familienfriedhof in Kates County auf Barnards Welt statt. Die Presse drang nicht in den Friedhof selbst ein, aber Reporter warteten hinter den Bäumen
und drängten sich an das schwarze Eisentor wie eine wütende Sturmflut.
    Richard wollte, dass Sol und Rachel ein paar Tage blieben, aber Sol wusste, was der ruhige Farmer durchmachen müsste, wenn die Presse ihre Angriffe fortsetzen würde. Daher umarmte er Richard, redete kurz mit den tobenden Reportern hinter dem Zaun und floh mit einer schweigsamen und fassungslosen Rachel im Schlepptau zurück nach Hebron.
    Reporter folgten ihm nach Neu-Jerusalem und versuchten, ihm auch nach Dan zu folgen, aber die Militärpolizei zwang ihre gecharterten EMVs zur Landung, steckte ein Dutzend

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